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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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Stethoskop, Joni hatte ihn so weit, dass er sich ihr Instrument an den Schädel hielt, einen Moment lang wusste er, wie es funktionierte, sie hatten ein transatlantisches Kabel, eine viele Kilometer lange Schnur, über Ozeanböden und durch Nadelwälder hindurch bis in sein Haus verlegt, eine militärische Operation, um bei ihm eine Diagnose zu stellen, doch das Bild verwischte so schnell, wie es gekommen war, vielleicht weil die Stimme sein Gemüt aufwühlte, ein Gemüt, das sich als Sediment in einer vor langer Zeit abgefüllten Weinflasche abgelagert hatte, einer Flasche von ihrem Vater? Die Stimme schüttelte ihn kräftig durch, Erinnerungen wirbelten auf, trübten seine Sicht auf seinen wochenlangen Kampf mit den Elementen.
    «Bist du noch da?», fragte die Stimme.
    Er räusperte sich, um das Schwarzpulver aus der Kehle zu kriegen. «Ja», sagte er. Aber wo war sie? Wirklich in Amerika?
    «Na, tja, ist eine ganze Weile her. Wie geht es dir? Ich kann nicht lange telefonieren.»
    Er nickte. So lange hatte er mit keinem Menschen gesprochen, dass er nicht in der Lage war, etwas zu erwidern, das musste sie verstehen, er hatte sich ans Zuhören gewöhnt, an das Plappern in den Supermärkten, die er eigentlich nie mehr besuchte, an das Piepsen und Rumoren der Tiere unter seinen Sofas und Sesseln, an die Vorwürfe, die ihm aus den Bücherregalen entgegenschollen; vielleicht war es die Stille im Haus, seine eigene Schweigsamkeit, die das Murren und Zischen hervorrief, er brauchte nur irgendeinen der Buchrücken in seinen Regalen anzuschauen, und schon brach eine Tirade los, erbitterte Schuldzuweisungen waren es, und er ließ sich geduldig beschimpfen. Manchmal blieb es bei harmlosen Vorwürfen («Kauf mal was Normales zu fressen, Blödmann, etwas, das du selbst schälen und kochen musst!») oder bei platten Schelten («Stümper! Du stinkst nach Kotze aus dem Arsch!»), doch oft waren es Anschläge auf sein Wesen («Verräter, Nazi, verrecken sollst du, verrecken!») – rhetorische Sprechchöre, vor denen er sich oben versteckte, im Bett oder in der Duschkabine, doch jedes Mal trieb die verfluchte Kälte ihn wieder die Treppe hinunter, dieselbe Kälte, die ihn auf die gemeine Idee gebracht hatte, seine Quälgeister zu töten, einen Scheiterhaufen –
    «Aaron? Mein Telefonguthaben ist fast alle.»
    Telefonguthaben? Guthaben. Die Guthaben , das machte ihn krank, was wollte sie damit sagen, er versuchte, schlau daraus zu werden. Die Guthaben unterlagen starken Schwankungen, aus jedem Umschlag, den er mit Buchseiten füllte, die Gnade verdienten, zog er Kontoauszüge hervor, hier wimmelte es von Kontoauszügen, die Umschläge tauchten in Schubladen und Schränken auf, oder er schüttelte sie auf dem Dachboden aus bleigrauen Ordnern, längliche gefütterte Fensterumschläge von Banken in den Niederlanden und vor allem in Luxemburg, mal stand da ein Minus von 284,30 Gulden, das nächste Mal lagen 2   438   749,63   Dollar für ihn bereit, danach musste er mit fünf Gulden und vierzehn Cent auskommen, er konnte sich keinen Reim darauf machen, stundenlang grübelte er darüber nach, wo die verdammte Knete blieb, wo sie herkam. «Ich tue mein Bestes», sagte er. «Aber es bleibt schwierig.»
    Er hörte nichts, Rauschen. «Das verstehe ich», sagte eine Stimme. «Mir ist es auch schwergefallen, das kannst du mir glauben. Jedenfalls habe ich gute Nachrichten. Ich rufe an, weil ich einen Käufer habe. Für das Boot.»
    Das kupferfarbene Boot … In seinem Kopf erstreckte sich ein glatter schwarzer Ozean, ein gesunkenes Schiff, Trillionen eiskalte Wassermoleküle unter schwachem Mondlicht, kaum Wellen, er klammerte sich an ein Stück schleimiges Wrackholz, über ihm Leichengewölbe an der Oberfläche des Meers.
    «Ich dachte, vielleicht willst du mitkommen, nach Sainte Maxime. Dass wir beide zusammen mit dem Alfa zur Barbara Ann fahren. Ich muss dir alles Mögliche erzählen.»
    Seine Verwirrung schlug um in Angst, gerade noch schien sein Herz zu groß für seinen Körper zu sein, jetzt fiel es in sich zusammen, sein Herz wurde klein wie eine Kirsche und schuf in seinem Brustkorb ein Vakuum, eine Implosion, die gemäß einfacher Gesetze Auswirkungen im ganzen Zimmer hatte: Die Wände federten nach innen, die kaputte Fassade war ein Mund, der literweise rostbraunen Dampf inhalierte. Sie saßen im Alfa, er trat aufs Gaspedal, aber sie fuhren vom Schiff weg . Sie rasten nach oben, in die Niederlande, hierhin. Zu einer Glasscheibe,

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