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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Buwalda
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Vorhang beiseite und brach über das, was sich meinem Blick darbot, sofort in Tränen aus – eigentlich eine seltsame Reaktion, sollte man meinen, denn in Anbetracht des Elends unten fiel die schmelzende Schokoladenkugel kaum ins Gewicht: Das Ding, oder was davon noch übrig war, lag auf dem Boden der Dusche in einem Bad aus abfließendem Schokoladenwasser, das Fleischmesser, das hineingesteckt worden war (gerammt, so stellte ich es mir vor), lag enttäuscht mit dem Heft im Abfluss. Das heiße Wasser hatte ein kegelförmiges Loch in die Kugel geschmolzen, von den Pralinen war außer der Füllung kaum noch etwas übrig. Ich wollte hier nicht sein. Nicht mit dem Bauch . Einen Moment lang verspürte ich den Drang, Boudewijn zu beschimpfen, ihm die Schuld an allem zu geben. Deinetwegen stehe ich jetzt hier, ohne dich würde ich nicht mit diesem Bauch rumlaufen. Schluchzend und fluchend drehte ich die Hähne zu.
    Jetzt erst hörte ich Aaron. «Hau ab!», rief er. «Hau ab !» Ich ging aus dem Badezimmer, das heisere Geschrei kam aus dem Schlafzimmer. Ich widerstand der Versuchung zu tun, worum er mich bat, abhauen, für immer, und öffnete die Tür. Er saß mit angezogenen Knien auf dem Bett, kaum zu erkennen mit dem schütteren Kranz aus Haaren um Ohren und Hinterkopf. Zwischen seinen Rufen brabbelte er hastig vor sich hin, zuckte und ruckte mit Schultern und Kopf. Als ich eintrat, begann er zu kreischen; mit aller Kraft, die Knöchel seiner Fäuste weiß, presste er die unbezogene gelbliche Decke an sein Kinn. «Bitte», sagte er heiser, «lass mich in Ruhe. Lass mich allein. Du hast eine Fratze.» Gegen das abwehrende Gejammer an, als müsste ich einem Orkan widerstehen, kroch ich aufs Doppelbett und nahm durch die Zudecke hindurch sachte seinen beschuhten Fuß. Heulend biss er in den Baumwollrand, verdrehte die Augen, sodass nur noch das Weiße zu sehen war, und zitterte, als bohrte ich ihm einen glühenden Schürhaken ins Fleisch. Vor Schreck nun auch selbst laut atmend, ließ ich los.
    «Verschwinde. Bitte.»
    Um mich selbst erneut vom Beben abzuhalten, um nicht zu verschwinden, raus aus dieser stinkenden Bude, stellte ich ihn mir auf seinem schwarzen Batavus-Fahrrad vor. Führ dir vor Augen, wer das ist. Ich sah ihn auf dem großen Rad mit der doppelten Stange sitzen, den Lammfellmantel offen, darunter ein Seidenhemd, das ebenso gut eine Frau hätte tragen können, sah die lässige Bohnenstange auf diesem Rad, die Stiefel riesig auf den Pedalen, langsam fahrend, um zusammen mit mir dieses Bett zu kaufen. Mit diesem Aaron auf der Netzhaut legte ich so vorsichtig wie möglich meine Hand auf seinen pitschnassen Oberschenkel und nannte ihn «Schatz». Mit diesem Aaron auf der Netzhaut war ich nach Enschede gekommen, mit diesem Aaron auf der Netzhaut hatte ich mich überreden lassen, es zu behalten.
    Wochenlang war Boudewijn der Einzige gewesen, der wusste, dass ich schwanger war, mit Enschede vermied ich jeden Kontakt (und Enschede mit mir), und bei McKinsey hatte ich, solange es sich verheimlichen ließ, kein Wort davon gesagt. Seit dem Moment, als ich mein Praktikum im Silicon Valley angetreten hatte, mailten Boudewijn und ich uns jeden Tag, eine Routine, mit der er seine Nachmittage in Amsterdam beendete und ich meine Vormittage in Kalifornien begann. Anfangs waren es in der Regel flapsige Mitteilungen, manchmal unerwartet offenherzig, mit einem seinerseits kaum misszuverstehenden Unterton, den ich ganz lustig fand. «Du bist der Einzige, dem ich vertraue», schrieb ich irgendwann im Oktober. «Natürlich, verstehe», antwortete er, fast geschmeichelt, woraufhin ich ihm erzählte, dass ich schwanger sei, und sofort hinterherschickte, eine Abtreibung zu erwägen, was ein Euphemismus für den Termin war, den ich bereits in einer Abtreibungsklinik ausgemacht hatte, die sich Stanford University Family Planning Service nannte. Spätestens als er das hörte, legte Boudewijn seine Flapsigkeit ab, und er verwandelte sich in einen Schwamm, der alles haargenau in sich aufnehmen wollte, und folglich erzählte ich ihm alles haargenau. Doch wie haargenau war das alles ohne die gläserne Terrassentür und die Website?
    Seine Reaktion erstaunte mich; er verbot mir ganz entschieden, in die Stanford-Klinik zu gehen. «Schieb diese Entscheidung so lange wie möglich auf», schrieb er, «lass dir erst einen Beratungstermin geben.» «Den werde ich dort schon bekommen.» «Okay, dann lass dir einen Beratungstermin für diese Beratung

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