Bony und der Bumerang
er bleiben. Sobald er erfährt, daß ich nicht seine leibliche Mutter bin, wird sofort eine Kluft zwischen uns aufgerissen, die wir nie mehr überbrücken können.«
John Thornton war damals genauso unglücklich gewesen wie seine Frau, als der so sehnlichst erwartete Erbe, nur einen Tag alt, gestorben war, und er hatte mit Freuden zugestimmt, das Kind der Köchin zu adoptieren. Aber er haßte Geheimnisse und Unwahrheiten. Ihm wäre deshalb eine große Last von der Seele genommen worden, wenn seine Frau endlich zugestimmt hätte, Ralph reinen Wein einzuschenken.
»Ralph ist sicherlich vernünftig genug; in seinem Verhalten uns gegenüber wird sich nichts ändern«, versuchte es Thornton erneut. »Mary hat uns nie verraten wollen, wer der Vater ist. Der Mann lebt vielleicht noch und kennt unser Geheimnis. Wir können niemals vor ihm sicher sein. Eines Tages taucht er womöglich auf und versucht uns zu erpressen. Dann müßten wir Ralph doch noch die Wahrheit sagen, und der Junge könnte uns mit Recht Vorwürfe machen, daß wir so lange geschwiegen haben.«
»Marys Verführer wäre längst aufgetaucht, wenn er uns hätte erpressen wollen«, widersprach die Frau.
»Aber die Möglichkeit bleibt bestehen. Außerdem wird Ralph eines Tages heiraten. Vielleicht Kate, vielleicht aber auch die Tochter von Sir Walter Thorley. Bedenke einmal, welch peinliche Situation dann entstehen könnte! Kannst du nicht einsehen, daß absolute Offenheit für uns alle das beste ist?«
»Zwanzig Jahre sind seitdem vergangen, John. Ralph ist nun mein Kind. Du kannst nicht verlangen, daß ich ihn mir jetzt noch wegnehmen lasse.«
Mit einem Seufzer der Resignation stand der Mann auf. »Na schön, wie du willst. Ich hoffe nur, daß es richtig ist.«
»Ganz bestimmt, John«, murmelte sie, und damit war für sie dieses Thema erledigt. »Wer arbeitet eigentlich bei den Orangenbäumen? Hast du einen Neuen eingestellt?«
Der Schafzüchter drehte sich um. »Ja, heute morgen. Zuerst glaubte ich, ihn zu kennen, aber er sagte, er habe bisher in Queensland gelebt. William Clair heißt der Mann.«
Mrs. Thornton lehnte sich zurück und schloß die Augen. Ein flüchtiges Lächeln glitt um ihre Mundwinkel. Offensichtlich war eine schwere Sorge von ihr genommen worden.
Die weißen Wände und das rote Dach des Herrenhauses von Barrakee hoben sich scharf von dem leuchtend grünen Rasen und den Orangenbäumen ab, und drei Meter hoher Bambus bot Schutz vor dem Wind. Zwischen dem unteren Teil des Gartens und dem Fluß lag ein ausgetrockneter Teich von fünfzig Meter Durchmesser. An dieser Stelle des Darling waren die Boote festgemacht, mit denen man ans andere Ufer übersetzen oder zum Fischen fahren konnte.
Unmittelbar südlich des Herrenhauses standen der Bürobau und die Baracke, die dem Buchhalter und den Farmvolontären als Unterkunft diente, ferner Lagerschuppen und Werkstätten. Vor dem Büro dehnten sich der Tennisplatz und der Rasen fürs Krocketspiel.
Im Gegensatz zu den meisten Schafstationen im Westen von New South Wales stand Barrakee der unerschöpfliche Wasservorrat des Darling zur Verfügung. Mrs. Thornton führte den Haushalt, ihr Mann aber herrschte über das riesige Weidegebiet, über dreißig bis vierzig Angestellte und fünfzig-bis sechzigtausend Schafe. Keiner mischte sich in die Angelegenheit des anderen. Die Thorntons hatten nur ein gemeinsames Ziel: ihrem Ralph eine vorbildliche Schafstation zu hinterlassen.
Auf dem Gerüst eines Wassertanks war ein junger Arbeiter postiert worden. Er hatte den Auftrag, mit dem Fernglas nach dem schweren Tourenwagen Ausschau zu halten. Um Viertel nach drei gab er den vereinbarten Schuß aus der Schrotflinte ab.
Die Thorntons erwarteten ihren Sohn vor der Gartentür beim Büro. Der Wagen hielt an, und ein gutaussehender, dunkelhaariger junger Mann im eleganten grauen Tweedanzug sprang heraus. Ihm folgte weniger stürmisch ein junges Mädchen im weißen Kleid.
»Mutter!« Ralph Thornton drückte die Farmersfrau an sich.
»Ralph! Ich bin so froh, daß du wieder zu Hause bist.« Sie blickte ihm stolz, aber auch ein wenig traurig ins Gesicht. Nie würde er mich so in die Arme nehmen, wenn er wüßte, daß ich nicht seine leibhaftige Mutter bin! schoß es der Frau durch den Kopf.
»Du mußt müde sein, Katie«, sagte der Schafzüchter zu dem jungen Mädchen. »Es war ein heißer Tag.«
»Tatsächlich, Onkel? Ich hatte mich so auf Ralph gefreut, daß ich es gar nicht bemerkt habe. Ist er nicht ein
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