BookLess.Wörter durchfluten die Zeit (BookLessSaga Teil 1)
Mädchen angstvoll.
Doch Philippa schüttelte leicht den Kopf. »Es wird kein Nachher geben, Gwenny. Meine Zeit ist gekommen. Du weißt alles, was du wissen musst. Nur eines noch: Vergiss nie, wie sehr ich und dein Vater dich geliebt haben. Das ist das Wichtigste.« Das Kind nickte und legte seiner Mutter eine Hand auf die Wange. »Ich liebe dich auch, Mutter«, sagte es leise.
Philippa lächelte und schloss ihre Augen. Das Mädchen schluchzte auf und legte seinen Kopf auf die Brust seiner Mutter. Mit beiden Armen umfing es den schmalen Körper und weinte herzzerreißend.
Eine weiß gekleidete Nonne, die bisher offenbar in der Dunkelheit der Kammer gewartet hatte, um den Abschied zwischen Mutter und Tochter nicht zu stören, trat neben sie und legte ihr tröstend eine Hand auf den Rücken. Schweigend verharrten sie.
Das Licht verschwand.
Lucy wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
Philippa war tot und trotzdem hatte sie es geschafft, ihre Tochter in ihrer Aufgabe zu unterweisen. Doch es war eine andere Aufgabe, von der hier die Rede war, als die, von der Nathan gesprochen hatte. Philippa verlangte von ihrer Tochter, die Bücher vor den Männern zu schützen. Wie funktionierte das? Wie konnte Gwen die Männer daran hindern, die Bücher zu stehlen? Und noch etwas hatte Philippa ihrer Tochter offenbart. Lucy schlug ihr Herz bis zum Hals, als sie versuchte, sich an den Wortlaut zu erinnern. Die Männer sind neidisch auf die Fähigkeit der Frauen, den Büchern ihre Freiheit zurückzugeben.
Dualismus – das war es doch, woran die Katharer geglaubt hatten. Es gab für sie das Gute und das Böse, Gott und Satan, ein schwarzes und ein weißes Mal. Jede Generation brachte einen Mann hervor, der das Wort auslesen, und eine Frau, die es zurücklesen konnte. Das war die Idee des Yin und des Yang. Das musste es sein. Deshalb wollte Nathan, dass sie sich dem Bund anschloss. Dann würden sie kontrollieren können, was sie tat.
Aber nun wusste sie, dass sie die Bücher retten konnte. Sie würde verhindern können, dass Nathan noch mehr Bücher für den Bund stahl.
»Ok«, sagte sie dann zu den Büchern. »Ich habe mich erinnert, nun müsst ihr mir helfen. Wie kann ich Nathan daran hindern, weiterhin Bücher auszulesen? Ich verstehe ja, dass ihr vorsichtig mit mir wart, aber ihr seid die Einzigen, die ich fragen kann. Bitte.«
Langes Schweigen folgte Lucys Worten und fast wollte sie resigniert den Rückweg antreten, als ein lautes Wispern einsetzte. Es war, als würden alle Bücher durcheinanderreden. Offenbar hatten die Bücher es sich überlegt.
»So verstehe ich euch nicht«, rief Lucy dazwischen. »Ihr müsst euch schon einig werden, wer von euch spricht.«
»Wir mussten erst sicher sein, dass du die Richtige bist. Dass wir dir trauen können«, vernahm sie dann deutlicher.
»Du musst dich auf den Schutz des Buches konzentrieren«, klang eine helle Stimme durch den Raum.
»Dein Mal wird dir dabei helfen«, fiel eine andere Stimme ein, die viel älter klang.
»Dein Geist muss für diese Aufgabe bereit sein, du musst es wirklich wollen«, erklärte nun eine dritte Stimme, die eindeutig weiblich klang.
»Zu welchem Buch gehörst du?«, fragte Lucy neugierig. »Zu Emma von Jane Austen«, erklärte das Buch mit Stolz in der Stimme. »Ich habe dich gelesen«, sagte Lucy und lächelte beim Gedanken an die langen Nächte, die sie lesend unter ihrer Bettdecke verbracht hatte.
»Ich weiß«, antwortete das Buch.
»Wie kannst du das wissen?«, fragte Lucy erstaunt.
»Wir kennen die Menschen, die uns lesen. Wir spüren ihre Gedanken und ihre Gefühle und nehmen sie in uns auf. Und mit jedem Menschen, der unsere Worte in sich trägt, werden wir stärker. Je mehr Menschen uns kennen und sich an uns erinnern, umso schwieriger wird es für den Bund, uns zu stehlen. Schwierig, aber nicht unmöglich. Alice hat sich sehr gewehrt, aber es konnte den Kampf nicht gewinnen. Diese Schlacht kannst nur du für uns schlagen. Du musst versuchen, unsere Brüder und Schwestern zurückzuholen.«
Erst wenn man mit Büchern in Berührung kommt,
entdeckt man, dass man Flügel hat.
Helen Hayes
17. Kapitel
»Lucy«, hörte sie Maries Stimme, als sie tief in Gedanken versunken die Bibliothek verließ. »Alles in Ordnung?«
»Ja, ja, ich hab’ nur was vergessen. Bis später«, rief Lucy, ohne sich umzudrehen.
Sie hastete die Stufen der Bibliothek zum Gehweg hinunter und blieb abrupt stehen, als sie das Auto erkannte,
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