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Bookman - Das ewige Empire 1

Bookman - Das ewige Empire 1

Titel: Bookman - Das ewige Empire 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
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großen Stadt lebte, der Hauptstadt des Ewigen Empire, der Residenz
der königlichen Familie, dem Stammsitz von Les Lézards? Sein Vater war ein
vespuccianischer Seemann gewesen, seine Mutter ein Rätsel. Beide waren schon
seit vielen Jahren tot. Orphans Haut war kupferrot, seine Augen grün wie das
Meer. Seine frühen Jahre hatte er auf den Docks verbracht, wo er im Dienste der
East India Company Botengänge machte. Seine Fremdsprachenkenntnisse waren
umfassend, wenn auch bruchstückhaft, seine Bildung bunt und nicht gerade
klassisch, sein Freundes- und Bekanntenkreis setzte sich aus den
unterschiedlichsten und merkwürdigsten Personen zusammen.
    Er hatte das Dichten in der Gosse erlernt, aber auch bei den
öffentlichen Lesungen, die die großen Autoren und Autorinnen der Zeit
veranstalteten, in Pubs, auf Werften, in Bildungsvereinen und auf den
morgendlichen Straßen. Und einmal war er einer jungen Frau aus Frankreich
begegnet, die, mit einem Schwert behängt, auf mysteriöse Weise an Deck eines
Schiffes auftauchte, das Orphan mit Fracht für China beladen half, und die ihm
in prunkvollen, wunderschönen Versen eine Vision Gottes vortrug (er hatte sie
nie mehr vergessen können). Außerdem lernte er die Dichtkunst in den Büchern
kennen, die er in der öffentlichen Bücherei las, bis ihm Tag und Nacht Worte im
Kopf herumgingen und es ihn drängte, sie auf Papier niederzuschreiben.
    Wer also war Orphan? Ein Dichter, gewiss, aber auch ein junger Mann.
Er trachtete nach Größe, und einmal war er zufällig dem alten Wordsworth
begegnet, als der große Mann gerade ein Kaffeehaus in Soho verließ. Der
fünfjährige Orphan hatte draußen auf der Straße gehockt und sich mit seinem
Freund Menachem dem Lahmen, einem Bettler, unterhalten. Wordsworth hatte ihn
angelächelt und ihm – vielleicht weil er auch ihn für einen Bettler hielt –
eine Münze gegeben, ein Halbkronenstück mit dem Profil des verrückten alten
Echsenkönigs George III ., das Orphan als
Glücksbringer aufgehoben hatte.
    Gegenwärtig war Orphan ebenfalls mit der »Abfassung eines Werkes von
eminenter Bedeutung« beschäftigt, das heißt, er war eifrig dabei, ein langes
Gedicht zu schreiben, genau genommen einen Zyklus von Gedichten über das Leben
in dieser großen Stadt. Er war einigermaßen stolz auf das, was er zustande
gebracht hatte, obwohl er spürte, dass es dem Ganzen irgendwie an Substanz
fehlte. Doch er war jung und zerbrach sich über solche Dinge nicht allzu lange
den Kopf. Und nachdem er seinen alten Freund Gilgamesch den Wanderer besucht
und sich vergewissert hatte, dass es diesem (recht) gut ging, machte er sich
leichten Herzens zu seinem eigentlichen Ziel auf, dem Rose Theatre in Southwark,
das erst vor Kurzem wieder aufgebaut worden war.
    Orphan ging am Fluss entlang. In der Ferne erklang der Gesang der
Wale, an- und abschwellend wie Flut und Ebbe, wenn die riesigen, rätselhaften
Wesen aus dem dunklen Wasser auftauchten, um Luft zu holen. Von Zeit zu Zeit
blieb er stehen und blickte mit der Sehnsucht eines Dichters, der darauf
wartet, dass ihn die Muse küsst, auf die jenseits des Flusses liegende Stadt.
Aus den Schornsteinen stieg dichter Rauch auf, der nach unten gedrückt wurde
und sich mit dem Nebel vermischte, der die Gebäude einhüllte. In der Ferne
blinkten die Lichter des Babbage Towers, die den Postluftschiffen nachts zur
Orientierung dienten. Fast war er versucht, rasch ein Gedicht zu schreiben,
doch die vom Fluss aufsteigende Kälte trieb ihn weiter. Außerdem schlug Big Ben
gerade zehn, sodass er sich beeilen musste, um sich nicht noch mehr zu
verspäten.
    Lucy war nicht da. Sicher war sie schon hineingegangen. Nachdem er
eine Eintrittskarte erworben hatte, trat er in den Hof des Theaters, wo es von
Menschen wimmelte. Die Vorstellung hatte also noch nicht begonnen. Er kaufte
sich einen Becher Glühwein und nahm einen Schluck von dem wohltuend heißen,
gewürzten Getränk, bevor er sich auf den Weg in das Gebäude machte.
    Um der Authentizität willen wurde das Rose Theatre nicht mit Gas,
sondern mit brennenden Fackeln beleuchtet, deren unruhiges Licht die Schatten
zum Tanzen brachte und den Gesichtern der Menschen phantastische Formen
verlieh, sodass sich Orphan vorstellen konnte, er sei von Echsen und
Stachelschweinen, Raben und Fröschen umgeben. Der Gedanke amüsierte ihn, und

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