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Bookman - Das ewige Empire 1

Bookman - Das ewige Empire 1

Titel: Bookman - Das ewige Empire 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
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er
überlegte, wie er selbst wohl wirken mochte: Wie ein Rabe oder ein Frosch?
    Er lehnte sich gegen die Balustrade, die die Gründlinge von den
unteren Sitzen trennte, und wartete. Neben ihm stand eine schlanke,
dunkelhaarige junge Frau, deren Gesicht mal vom Licht beschienen, mal in
Schatten getaucht wurde. In den Händen hielt sie einen Füllfederhalter und ein
Notizbuch, in das sie etwas eintrug. Sie hatte ein blasses, fein geschnittenes
Gesicht – das im Profil höchst bemerkenswert war, wie Orphan immer wieder fand –, und ihre Ohren waren klein, liefen nach oben spitz zu und lagen dicht am
Kopf an, sodass ihm die Frau im Licht des von oben hereinscheinenden Mondes wie
ein Wesen aus Sage und Mythos vorkam, eine Elfe vielleicht oder eine Muse.
    Er beugte sich zu ihr. »Eines Tages werde ich ein Stück für dich
schreiben, das hier im Rose Theatre aufgeführt wird«, sagte er.
    Ihr Lächeln war wie Mondlicht. »Sagst du das zu allen Mädchen?«,
entgegnete sie grinsend.
    Â»Das brauche ich nicht«, antwortete Orphan, zog sie an sich und
küsste sie, wobei das Notizbuch zwischen ihre Körper geriet. »Nicht, wenn ich
dich habe.«
    Â»Lass mich los!«, lachte sie. »Du liest zu viele Liebesromane, Orphan.«
    Â»Das ist …«
    Â»Schon gut.« Sie grinste ihn erneut an und küsste ihn. Zwei alte
Damen in der Nähe stießen missbilligende Geräusche aus. »Und jetzt sei still!
Gleich fängt die Vorstellung an.«
    Orphan gab nach. Händchen haltend lehnten sie sich gegen die
Balustrade. Gleich darauf senkte sich Schweigen auf die Menge herab, und die
bisher leere Bühne war nicht mehr leer, denn Henry Irving hatte sie betreten.
    Beim Anblick des großen Schauspielers brach die Menge spontan in
Applaus aus. Orphan trank einen weiteren Schluck Glühwein. Die Flammen der
Fackeln erzitterten, als ein kalter Wind durch das offene Dach des Theaters
hereinblies. Orphan erschauderte. Auf der Bühne sagte Irving gerade: »… Des
Bräutgams Tor ist offen schon, verwandt steh ich ihm nah; die Gäste stelln zum
Fest sich ein – hörst nicht ihr Lärmen da?« Die gefeierte Aufführung der für
die Bühne bearbeiteten Ballade vom alten Seemann hatte
begonnen.
    Obwohl Orphan die Aufführung bereits gesehen hatte, schlug sie ihn
erneut in Bann. Während Irvings dröhnende Stimme durch das Theater hallte, nahm
die ebenso seltsame wie groteske Geschichte Gestalt an. Maskierte Tänzer
sprangen auf die Bühne, um das Hochzeitsfest darzustellen, auf dem der alte
Seemann wie eine der Themse entstiegene Spottgeburt auftauchte. Im weiteren
Verlauf der Handlung erfuhr man, wie der junge Seemann Amerigo Vespucci in See
stach, um im Auftrag des englischen Hofs auf Entdeckungsreise zu gehen; wie er
auf Calibans Insel dem echsenähnlichen Bewohner dieses Eilands begegnete und ihn
erschoss, eine ruchlose Tat, die Vespucci wider seinen Willen die
Unsterblichkeit einbrachte und dafür sorgte, dass seine Auftraggeber, die
Briten, die ganze Macht der Lézards zu spüren bekamen, jener Echsenkönige, die
seither auf Britanniens Thron saßen. Es war eine alte, phantasievolle
Geschichte, die sich aus Gerüchten und Mythen zusammensetzte. Irvings Adaption
erfreute sich, wie Orphan wusste, beim Theaterpublikum großer Beliebtheit –
besonders bei jungen Leuten, die zum Radikalismus neigten –, wurde vom Palast
jedoch als gefährlicher Unsinn bezeichnet. Allerdings hatte Premierminister
Moriarty bisher noch nichts dazu verlauten lassen. Jedenfalls wurde immer
deutlicher, dass sich das Stück nicht lange auf der Bühne würde halten können –
was die Begeisterung des Publikums nur steigerte. In der Presse wurde eifrig,
wenn auch nicht gerade fundiert darüber spekuliert, warum Irving das Stück
überhaupt inszeniert hatte.
    Als Vespucci seine Heimreise antrat, beugte sich Lucy gespannt vor,
was Orphan nicht anders erwartet hatte, denn dieser Teil der Geschichte
handelte davon, wie die Wale auftauchten und das unselige Schiff auf dem langen
Weg über den Atlantik begleiteten, bis man schließlich in Greenwich ankam und
die Stadt zum ersten Mal den morgendlichen Gesang der Wale vernahm.
    Orphan schob sich näher an Lucy heran. Sie hatte sich das Haar
hinter die Ohren geschoben, und ihre langen Finger waren voller Tintenflecken,
die Nägel schmutzig, als hätte sie im Schlamm

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