Bootsmann auf der Scholle
friere, Bootsmann hetzt hechelnd um den Baum. Er fühlt sich stark und wichtig. Die Krähe klappt verdrossen mit dem Schnabel. Was will der schwarze Kerl von ihr? Die Krähe hüpft auf den nächsten Ast. Sie schlägt die harten Flügeldecken auf und zu. Dann macht sie kraah und sitzt wieder stumm mit schiefem Kopf und sieht aus, als ob sie friere.
Die Kinder und Bootsmann aber flitzen weiter. An der Spitze der kleine kugelrunde Hund, dann Uwe, dann Jochen, ganz am Schluß Katrinchen mit der roten Kappe.
An den bunten Häusern vorbei flitzen die Kinder aus der Stadt. Katrinchen fällt hin und schreit.
Uwe läuft zurück und klopft ihr den Schnee von den Sachen. Jochen und Bootsmann warten nicht.
Dort unten, ein gutes Ende vor der Stadt, dehnt sich eine große Bucht.
Das Ufer der Bucht ist flach. Ein paar Weiden stehn in Reih und Glied, Schneemützen auf den dicken Köpfen, und das Schilf ist braun und raschelt.
Das Schilf wächst aus dem Eis. Es steht steif und starr wie ein schirmender Schutzwall, breit, undurchdringlich und geheimnisvoll.
Bootsmann schlüpft zwischen die ersten Stengel, Jochen ihm nach. Bootsmann und Jochen bahnen sich einen Pfad. Sie wühlen und stapfen. Plötzlich sind sie verschwunden, als hätte das braune Schilf sie verschluckt.
Uwe sieht nichts mehr von den beiden.
Nicht mal ein Zipfelchen mehr von Jochens blauer Pudelmütze. Nur die Stengel des Schilfes sieht Uwe tanzen. Wo die Schilfstengel tanzen, sind Jochen und Bootsmann.
„He!" ruft Uwe. „Was macht ihr?" „Entdeckungsfahrt!" schreit’s aus dem Schilf.
„Wartet!" ruft Uwe. „Katrinchen kann nicht so schnell."
„Keine Zeit. Wir haben eine Spur entdeckt. Einen Wolf!"
„Einen Wolf! So’n Quatsch!" ruft Uwe.
Er folgt mit Katrinchen den beiden Entdeckern.
Der Pfad durchs Schilf ist schmal. Die harten Stengel streifen die Gesichter. Katrinchen kämpft sich wacker voran. Aber sie ist klein wie ein Grashüpfer, sie kann nicht so schnell wie Uwe.
Katrinchen bleibt stehn und fängt an zu weinen.
Uwe dreht sich um. Er ist böse auf Katrinchen.
„Was hast du?" fragt Uwe.
„Du sollst nicht so schnell“, sagt Katrinchen.
„Aber der Wolf haut ab", sagt Uwe.
„Ich habe Angst", sagt Katrinchen.
Sie will wieder weinen. Da nimmt Uwe Katrinchen an die Hand. Er tut es mit bösem Gesicht. Katrinchen verdirbt ihm die Wolfsjagd. Aber soll er sie allein im Schilf zurücklassen? So ein kleines Mädchen — Uwe macht für Katrinchen den Pfad frei. Er tritt die Schilfstengel um. Einmal tritt er durchs Eis. Es kracht und klirrt, und der Fuß rutscht weg bis zur Wade. Doch er wird nicht naß. Es war kein Wasser unterm Eis.
„Ich will nach Hause", sagt Katrinchen. „Dann geh doch", sagt Uwe.
„Und der Wolf?" sagt Katrinchen. „Wenn er mich sieht?"
„Es gibt keinen Wolf."
„Doch", sagt Katrinchen. „Jochen hat ihn gesehn."
„Jochen spinnt. Geh nach Hause, schnell. Einfach hier zurück."
Katrinchen schüttelt den Kopf. Sie will nicht nach Hause, alleine.
„Na los, dann komm weiter", sagt Uwe.
Er zerrt Katrinchen durch den starren Schilfwald.
Katrinchen plärrt: „Das sage ich alles Mami!"
Uwe hält plötzlich an. Er horcht ins Schilf. Er lauscht mit gepreßtem Atem. Er hört nichts.
Katrinchen hört auch nichts.
„Was ist denn?“ fragt sie.
„Ruhig!"
Und wieder horcht Uwe ins Schilf.
Nichts. Kein Knacken, kein Knastern kündet mehr von Jochen und Bootsmann.
Uwe guckt Katrinchen ratlos an. Dann schreit er: „He, wo seid ihr?"
„Vielleicht der Wolf", sagt Katrinchen.
„Ach Quatsch", sagt Uwe.
Er geht vorsichtig weiter, und Katrinchen tapst vorsichtig hinterdrein.
Nach fünfzehn Schritten erreichen sie eine freie Stelle, eine Lichtung. Blank wie ein Riesentalerstück liegt die Lichtung mitten im Schilf. An ihrem Rande kauern Jochen und Bootsmann.
„Da müßt ihr euch besser verstecken", ruft Uwe. Aber er ist froh, daß Jochen und Bootsmann wieder da sind.
„Wo ist der Wolf?“ fragt Katrinchen. Jochen zeigt auf Bootsmann. „Der da hat ihn gefressen."
„Das glaubst du selber nicht", sagt Katrinchen.
Bootsmann schnüffelt am Schilfsaum. Er wittert und wirft den Kopf. Seine Buschelrute wackelt.
Die Kinder lassen sich von Bootsmann führen. Sie brechen einen neuen Pfad und durchqueren weiter das Schilf. Sie durchqueren es ganz und gar.
Drüben stehen sie still.
Drüben, auf der anderen Seite des Schilfes, beginnt das blanke Eis. Eine stumme Welt, spiegelglatt und einsam. Den Schnee hat der
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