Bootsmann auf der Scholle
hart am Rande der Scholle, und den Kopf Uwe zugewandt. Sein Kläffen klingt dünn und freudig.
Uwe möchte schneller vorankommen.
Die Riemen, mit denen er rudert, sind aus leichtem Holz. Aber sie sind sehr lang für einen siebenjährigen Jungen, und sie werden ihm allmählich schwer.
Uwe kommt nicht schneller voran. Er wird sogar langsamer, denn er muß seine Kräfte schonen. Wie soll er sonst den Rückweg schaffen?
Jetzt treibt ihn die Strömung, wie sie ja auch die Scholle treibt.
Aber nachher, den langen Weg zurück, hat Uwe die Strömung gegen sich. Sie wird versuchen, ihn weiter aufs Meer hinauszutragen, bis an den Horizont und immer noch weiter. Uwe muß die Strömung besiegen.
Er rudert regelmäßig. Er atmet und bewegt sich ruhig. Hin und wieder blickt er über die Schulter, prüft den Kurs und schätzt die Entfernung bis zur Scholle. Bei jedem Umblicken ist er der Scholle näher. Uwe ist guter Dinge. Sein Kahn macht flotte Fahrt. Unter den Planken rauscht und stößt das Meer.
Noch hundert Riemenschläge, sagt Uwe zu sich selber, dann habe ich die Scholle.
Er beginnt zu zählen, ganz laut, so daß Bootsmann es hören kann: „Eins — zwei — drei — vier — fünf —"
Er zählt bis hundert, dann blickt er sich um.
Die Scholle ist nah, aber längst nicht nah genug.
Fünfzig Schläge noch, denkt Uwe, dann bin ich neben der Scholle. Ich werde hinübergreifen, Bootsmann am Fell fassen und in den Kahn heben.
Bloß fünfzig Riemenschläge noch.
Aber die Küste ist inzwischen weit entfernt, die Strömung stark, und das Meer wächst groß und gewaltig um den Kahn. Der Kahn ist auf einmal sehr klein. Er ist zerbrechlich und hilflos, ein Spielzeug für das Meer.
Uwe beginnt die fünfzig Riemenschläge nicht. Er läßt sich treiben, die Arme auf die Riemenhölzer gestützt. Uwe überlegt. Seine Augen beobachten, sein Kopf rechnet.
Uwe ist ein Junge von der Küste. Er kennt das Meer, seine Größe und Gewalt, seine Schönheit und seine Tücke.
Uwe ist allein. Keiner kann ihm helfen. Uwe muß gut überlegen. Er muß das Meer besiegen. Es ist gefährlich, hinter Bootsmann und der Scholle einfach herzujagen. Mit den Armen allein kann man das Meer nicht besiegen.
Uwe schaut zur Küste. Weiß und verlassen ragt sie auf, kein Mensch, kein Tier zu sehn.
Uwe schaut zum Hafen. Die Kräne wippen, die Speicher schweigen, die Schiffe ruhn sich aus. Alles ist sehr fern, und Putt Bräsing mit dem Schlepper wird nie und nimmermehr kommen.
Von der Küste und vom Hafen hat Uwe nichts zu erwarten.
Aber der Dampfer! Jener fremde Dampfer, der vorhin noch weit vor der Bucht stand. Inzwischen ist er ein gutes Stück heraufgedampft. Uwe erkennt die Bullaugen in der Bordwand.
Der Dampfer hat einen langen Schornstein. Seine Kommandobrücke ist aus Holz, mit weißer Farbe gestrichen. Der Dampfer ist mindestens fünfzig Jahre alt. Am hinteren Mast weht eine rote Flagge. Uwe faßt einen schnellen Entschluß. Mit kurzen Riemenschlägen bringt er seinen Kahn auf neuen Kurs. Dann legt er los, rudert mit allen Kräften, schnell, schnell, ho-ruck, ho-ruck!
Uwe will dem Dampfer in den Weg, er will winken, rufen, um Hilfe bitten. Gelingt ihm das, ist alles gut. Gelingt es ihm nicht, ist alles verloren.
Bootsmann auf der Scholle fängt an zu jaulen. Er begreift nicht, was Uwe dort macht. Warum dreht der Kahn plötzlich ab? Bootsmann springt an den äußersten Rand der Scholle. Man kann denken, er will ins Wasser springen. Aber ins Wasser traut sich Bootsmann nicht. Er steht reglos, wie aus Stein, und äugt dem Kahn und Uwe nach. Aus seinem Maul stoßen kleine traurige Laute. Bootsmann glaubt, daß Uwe ihn verlassen will. Ganz plötzlich wirft er den Kopf und heult den Himmel an.
Aber der Himmel hat kein Erbarmen mit dem kleinen Hund.
Und der Dampfer zieht seines Wegs. Rauchfladen quellen aus dem Schornstein.
Die Schiffsmaschine poltert.
Auf der Kommandobrücke des Dampfers sind drei Männer.
Einer steuert, einer guckt durchs Fernglas, einer spaziert.
Der Mann, der spaziert, ist Kapitän Feodor. Er hat einen Schnurrbart und eine Mütze mit goldener Kordel.
Kapitän Feodor fragt den Mann mit dem Fernglas: „Sehen Sie den Schlepper?" „Er wartet vor der Einfahrt zum Hafen."
„Er wartet“, wiederholt Kapitän Feodor. „Natürlich. Wir kommen wieder mal zu spät."
Kapitän Feodor dreht ärgerlich an seinem Schnurrbart. Er setzt den Spaziergang fort. Von der rechten Schiffsseite zur linken, von der linken
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