Bordeuax
siebenstelligen Wert gehabt hatte und eigentlich
für meine Altersversorgung gedacht gewesen war. Nach Colins Meinung würde ich
das Rentenalter sowieso nicht erreichen, das wäre also nicht das größte
Problem. Aber ich hatte gehofft, ein paar Wochen oder Monate Zeit zu gewinnen,
eine Gnadenfrist, dank des Gesprächs mit Chris Templeton. Jetzt schien es so,
als würde mein letztes Geld in fünf Tagen auf mein Konto überwiesen und
genauso schnell wieder abgebucht.
Ich leerte die Flasche Wein und
dachte dabei über mein Leben nach. Viel Geld ausgeben, wenn man kein Einkommen
hat, funktioniert nur eine Zeit lang, das war das Problem. Diese Zeit war
jetzt gekommen. Es war sehr lange her, dass ich mir in nüchternem Zustand
Gedanken über meine Zukunft gemacht hatte, und ich war mir nicht sicher, ob es
mir jetzt gelingen würde. Ich beschloss, einen Spaziergang zu machen, um einen
klaren Kopf zu bekommen, meine Briefe und die bezahlten Rechnungen aufzugeben
und in dem Geschäft an der Kreuzung Curzon Street etwas zu essen zu kaufen. Ich
sah in meiner Brieftasche nach, die Schwester Susan mir wiedergebracht hatte,
nachdem ich sie aus dem Fenster geworfen hatte. Sie enthielt drei abgelaufene
Kreditkarten und kein Bargeld. In meiner Geldklammer, das wusste ich, klemmte
auch kein Schein mehr. Mit einem bangen Gefühl wurde mir klar, dass ich wohl
zuerst zu meiner Bank in der St. James's Street würde gehen müssen und einen
Scheck einlösen.
Als Francis' Nachlassverwalter mir
Caerlyon Hall anboten, hatte ich Ja gesagt, wie ich es Francis versprochen
hatte. Das Hauptgebäude und der größte Teil des Geländes waren dauerhaft an
die Stadt vermietet, zur Nutzung als Gemeindezentrum. Ein hinterer Flügel mit
zwei Schlafräumen, einem Wohnzimmer und einer großen Küche waren für Francis'
eigenen Bedarf reserviert, ebenso der riesige Keller unter dem Haus, der stark
an die Krypta einer Kirche erinnerte, so dass Francis ihn »die Gruft« nannte.
Ich hatte Francis auch versprochen, das Haupthaus von der Stadt zurückzukaufen
und selbst dort einzuziehen; diesen Teil des Versprechens habe ich bis jetzt
allerdings noch nicht eingelöst. Mittlerweile ist es ziemlich unwahrscheinlich,
dass ich je dort wohnen werde. Die Situation hat sich verändert. Francis hatte
kein Recht, von mir zu erwarten, dass ich diese Last auf mich nehme, das Haus
und auch noch den Weinkeller. Er hatte kein Recht dazu, mir dieses Versprechen
abzuringen, aber ich habe es ihm trotzdem gegeben.
Seine Gruft, das war ein riesiger
elisabethanischer Gewölbekeller, der sich unter seinem Haus erstreckte. Man
erreichte ihn über ein Steinhäuschen neben den Stallungen, von dort eine breite
Steintreppe hinunter zu einer Art Vorraum. Hier, in seinem »Laden«, hatte
Francis die meiste Zeit seines Lebens verbracht. Hier stellte er die Weine aus,
die er verkaufen wollte. In der Gruft dahinter bewahrte er den Wein auf, den
er trinken wollte. Die Gruft bestand aus einem Hauptraum, etwa 45 Meter lang,
mit Kammern, die sich, wie Seitenkapellen in einem Dom, alle paar Meter rechts
und links öffneten. In dem zentralen Gewölberaum hatte Francis die Weinkisten
gelagert, die er in den letzten vierzig Jahren geerbt oder erworben hatte. Er
besaß mehrere Tausend solcher Holzkisten, übereinander gestapelt, was den
Eindruck erweckte, man stünde vor dem Modell einer Stadt aus dem neunzehnten
Jahrhundert, ein Raster aus großen Alleen und quer verlaufenden Seitenstraßen
zwischen den Kisten. Es gab keine Ordnung, kein System. Margaux stapelte sich
auf Pomerol, Saint-Emilion auf Medoc, 1928er auf 1998er, und keiner außer
Francis hätte sich je hier zurechtgefunden. Ich habe versucht, eine Karte
dieses Kellers zu zeichnen, und bis zu einem gewissen Grad ist mir das auch
gelungen. Bei etwa der Hälfte der Weinflaschen, die sich jetzt in meinem
Besitz befinden, habe ich eine ungefähre Vorstellung von der Lage, dem Jahrgang
und dem jeweiligen Château. Der Rest bleibt ein Mysterium für mich - eine
Erforschung, die noch im Werden begriffen ist. Vielleicht dauert es bis an
mein Lebensende, bis ich allen Wein entdeckt habe, der mir gehört, vielleicht
dauert es auch länger als bis an mein Lebensende. Meine Karte ist
unvollständig; sie wird niemals vollständig sein, denn es gibt einfach zu viel,
das man im Kopf behalten muss.
Francis hatte ein fotografisches
Gedächtnis. Hatte er einmal eine Kiste 79er Château Latour in seinem Keller
entdeckt, die auf einer anderen Kiste mit
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