Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bordeuax

Bordeuax

Titel: Bordeuax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Torday
Vom Netzwerk:
die Lippen zu versiegeln, aber dann senkte er ihn wieder und fuhr fort:
»Das Traurige ist, dass die Fähigkeit, Freude zu empfinden, in gleichem Maße
abnimmt, vielleicht für immer. Deine Freude am Weintrinken ist im Großen und
Ganzen ein trügerisches Konstrukt. Du glaubst nur, du würdest ihn genießen.
Aber es passiert noch etwas mit dir: Die Produktion von Serotonin ist gestört.
Serotonin ist das Glückshormon. Wenn man nicht genügend Serotonin hat, wird
man depressiv. Man nimmt immer mehr von dem jeweiligen Gift zu sich, das man
braucht, um gegen die Depression anzukommen. So gerät man in einen
Teufelskreis, der einen schließlich umbringt. Aber zuvor durchlebt man das
schlimmste Elend, das man sich vorstellen kann. Teilweise hat es in deinem
Nervensystem schon eingesetzt. Und wie ich dich kenne, wirst du nichts
unternehmen, damit es aufhört. Vielleicht willst du ja in Wahrheit auch gar
nicht, dass es aufhört. Ich bin kein Psychologe.«
    Stille trat ein, während ich
versuchte, mir darüber klar zu werden, was Colin mir gerade gesagt hatte.
    »Du meinst also, es geht mir nicht
gut.«
    »Ja«, sagte Colin leise. Zum ersten
Mal verschwand sein Lachen und machte einer seltenen Miene von Besorgnis Platz,
und zum ersten Mal bekam ich es mit der Angst zu tun. Das Schlimmste war, dass
ich das meiste von dem Gesagten schon wieder vergessen hatte. »Ja«, wiederholte
Colin, »es geht dir nicht gut. Genauer gesagt, du stirbst. Ob du heute Abend
stirbst oder nächste Woche oder nächstes Jahr, kann ich nicht sagen. Nach den
Testergebnissen zu urteilen, müssen wir dich spätestens in einem Jahr in ein
Krankenhaus einweisen. Ich hoffe, du hast noch genug Geld und kannst dir eine
Behandlung als Privatpatient leisten. Im nationalen Gesundheitsdienst sähen
deine Chancen ziemlich mies aus. Opfer von Selbstzerstörung sind nicht gerade
gern gesehen.«
    »Mach dir keine Sorgen um meine
Finanzen«, sagte ich. »Ich schwimme im Geld. Und um ein Krankenhaus brauchst du
dich auch nicht zu kümmern. Ich trinke das gesündeste Getränk, das der Mensch
je erfunden hat: Rotwein. Davon verstehe ich immerhin auch etwas, denke ich.«
    »Warst du schon mal in Kolumbien?«,
fragte Colin.
    »Bitte?« Der abrupte Themenwechsel
rüttelte mich auf. Es war, als wäre ich an zwei Orten gleichzeitig. In der
Küche, in meinem Haus, war es warm und stickig, und nebenan, in meinem Wohnzimmer,
saß Schwester Susan und sah fern. Colin trommelte wieder mit den Fingern auf
die Tischplatte und wartete auf meine Antwort. Gleichzeitig marschierte ich
rasch eine regennasse Straße in Bogota entlang. In Bogota regnete es ständig -
nie allzu lange, aber die Unterbrechungen dauerten auch nie lange. Die
Bürgersteige waren glatt vom Regen, und die Scheinwerfer der vorbeifahrenden
Autos spiegelten sich auf den nassen Steinplatten. Ich war auf dem Weg zum
Hotel Bogota Plaza. Ich war gerade mit der Avianca von Medellin hergeflogen,
und ich hatte den Taxifahrer gebeten, zwei Häuserblocks von meinem Hotel
entfernt anzuhalten, für den Fall, dass mir jemand vom Flughafen gefolgt war.
Hinter mir hallten Schritte, und in der Stille zwischen den Echos bildete ich
mir ein, diesen grässlichen Geruch von Verwesung einzuatmen. Wahrscheinlich
hatte es nichts zu bedeuten.
    »Warum fragst du?«, wollte ich
wissen.
    »Als du im Koma lagst, hast du
ständig davon gesprochen, nach Bogota zu fahren, von Medellin aus. Es war von
Leuten die Rede, die dich verfolgen. Es hörte sich an wie ein schlechtes Drehbuch
für einen schlechten Film, aber du hast dich über beängstigend viele Details
ausgelassen.«
    »Ich war in meinem ganzen Leben noch
nie in Kolumbien - soweit ich weiß«, sagte ich.
    »Soweit du weißt«, sagte Colin. »Ich
meine, das wüsstest du doch, oder nicht? Man fährt nicht Tausende von
Kilometern, bis zu einem anderen Kontinent, und vergisst dann, dass man da war
- oder?«
    »Ich weiß nicht, wie ich das gemeint
habe«, sagte ich wütend. »Du bringst mich ganz durcheinander. Wieso reden wir
überhaupt über Kolumbien?«
    »Eigentlich reden wir darüber, warum du über Kolumbien geredet hast.«
    Ich gab auf. »Hast du mir sonst noch
was zu sagen?«
    Colin stand auf. »Ich schicke
Schwester Susan wieder nach Hause. Es hat keinen Zweck, dass sie herkommt, wenn
du es eigentlich gar nicht willst.«
    »Nimm es nicht persönlich«, sagte
ich.
    »Noch etwas ist mir an dir
aufgefallen, was mir Sorge macht«, sagte Colin unerwartet. »Ein Zustand, wie er
mir noch

Weitere Kostenlose Bücher