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Bordeuax

Bordeuax

Titel: Bordeuax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Torday
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geschlossen und
verriegelt, auf einem Schild stand: »Gateshead County Council:
Gemeindezentrum.«
    Ich fuhr weiter neben einer hohen
Steinmauer den Weg entlang, der offenbar zu den rückwärtigen Gebäuden führte.
Nach knapp hundert Metern fand sich eine Öffnung in der Mauer, durch die man in
einen pflastersteinbelegten Hof gelangte, mit Ställen und Nebengebäuden. Am
Straßenrand stand ein großer Aufsteller, goldene Palace-Lettern auf
burgunderrotem Grund verkündeten: »Francis Black: Exquisite Bordeauxweine.
Besucher herzlich willkommen.«
    Ich kam mir vor wie Alice im
Wunderland, als sie das Tischchen auf dem Grund des Kaninchenbaus findet, mit
der kleinen Flasche, um deren Hals ein Zettelchen gebunden ist, darauf die
Worte »Trink mich«. Sie weiß natürlich, dass es klüger wäre, nicht aus der
Flasche zu trinken, aber seit sie nachmittags im Garten eingeschlafen war und
das weiße Kaninchen gesehen und beschlossen hatte, ihm ins Wunderland zu folgen,
waren ihr bereits viele seltsame Dinge passiert. Deswegen dachte sie: »Gut.
Warum nicht?« Rückblickend habe ich den Eindruck, dass dieses Bild, das mir
ganz unerwartet ins Gedächtnis kam - die schwache Erinnerung an ein Buch aus
meiner Kindheit, die unterbewusste Verknüpfung des burgunderroten Aufstellers
mit der Flasche und dem Zettel »Trink mich«, die Alice im Kaninchenbau findet
-, einer jener unumkehrbaren Momente in meinem Leben war. Später kamen noch
andere solcher Momente hinzu, aber dieser läutete die erste Phase meiner Reise
ein, die mich aus der Welt, die ich kannte, herausführte. Mit einem
unbedarften, unüberlegten Schritt kehrte ich der sicheren Welt der Pizzas und
teuren Autos, der Steuererklärungen und der Computerprogramme den Rücken: der
Anfang einer Reise, mit der ich diese Welt für immer hinter mir ließ. Also
dachte auch ich: »Gut. Warum nicht?« Ich fuhr an den Straßenrand, schaltete den
Motor ab und stieg aus, ich spürte die Abendsonne warm auf meinen Wangen, roch
den süßen und wolligen Duft von Heidekraut, der von den fernen Bergen
herüberwehte, und schlenderte in die ungefähre Richtung von Francis Black und
seinen exquisiten Bordeauxweinen.
     
    Ich spazierte die Piccadilly entlang
und bog in die St. James's Street. Als ich an der Treppe zu einem der drei
Herrenclubs am Ende der Straße vorbeikam, trat gerade Ed Hartlepool aus der
Tür, verharrte auf der obersten Stufe und sah sich das Geschehen auf der Straße
an. Ed hatte mir früher mal sehr nahegestanden und zu dem Freundeskreis gehört,
der mich eine Zeit lang aufnahm und wie eine Familie für mich wurde. Ich war
erstaunt, ihn hier anzutreffen. Catherine hatte mir gesagt, er hätte sich nach
Frankreich absetzen müssen, aus steuerlichen Gründen, und würde jedes Jahr
immer nur für ein paar Wochen nach England zurückkehren. Er sah so aus wie beim
letzten Mal, als ich ihn gesehen hatte: groß, sehr dünn, in einem makellosen
marineblauen Zweireiher, dessen Wirkung durch Eds unzähmbaren blonden
Lockenschopf nur unterstrichen wurde. Er drehte sich zu der Person hinter ihm
um, die offenbar eine sehr witzige Bemerkung gemacht hatte, denn als er sich danach
wieder der Straße zuwandte, lachte er. Dann sah er mich, und sein Lachen
erstarb auf der Stelle. Ich grüßte ihn, eher halbherzig, mit hochgezogenen
Augenbrauen. Es waren nur wenige Meter Abstand zwischen uns, und ich fragte
mich, ob er irgendwie Notiz von mir nehmen und mich dadurch zwingen würde, auf
ihn zu reagieren. Er selbst blieb stumm, ignorierte mich, sah mich an und
gleichzeitig durch mich hindurch, als wäre ich aus Glas. Ich hatte Ed seit
Catherines Beerdigung nicht mehr gesprochen. Als ich damals auf Krücken die
Kirche betrat, hatte er mich mit einem so hasserfüllten Blick angestarrt, dass
ich weiche Knie bekam. Ich hatte mich festhalten müssen, um nicht das
Gleichgewicht zu verlieren. Es war eine äußerst gefühlsgeladene Situation
gewesen, und ich fragte mich, mit welchem Recht Ed mich jetzt so ansah und
vielleicht gleich noch ansprechen würde so wie damals, gleich nach dem Gottesdienst.
Jeder wusste doch, dass ich nicht schuld an Catherines Tod war.
    Es beunruhigte mich, Ed
wiederzusehen, damit rechnen zu müssen, dass er diese Straße aufsuchte, in
deren unmittelbarer Nähe ich wohnte. Ich wandte den Blick von ihm ab und lief
weiter in die Richtung meiner Bank, da hörte ich ein knappes, scharfes Lachen
hinter mir. Ich drehte mich nicht mehr um.
    In der Bank legte ich gleich

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