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Bordeuax

Bordeuax

Titel: Bordeuax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Torday
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war sogar für einen Moment eingetreten, und das hatte mich in Unruhe
versetzt. In dem Garten wurden nicht so viele Transaktionen getätigt wie
draußen, stattdessen wuchsen hier Beziehungen heran, für die das Wort »Transaktion«
nicht angemessen war. Ich hatte immer geglaubt, dass Beziehungen zu anderen
Menschen, wenn man schon darauf angewiesen war, auf einem beidseitigen
Bedürfnis beruhten: Ich habe etwas, das du haben willst; du hast etwas, das
ich haben will. Die Möglichkeit, dass Menschen auch Zeit miteinander verbringen
konnten einzig und allein, weil sie Freude an der Gesellschaft des anderen
hatten, war eine ganz neue Vorstellung für mich.
    Mein Leben, das mir bisher erfüllt
erschienen war, kam mir jetzt plötzlich leer vor.
    Mein Alltag verlief weiter wie
gewohnt. Ich arbeitete bis sieben oder halb acht, kaufte im Supermarkt
irgendein Fertiggericht und fuhr nach Hause. Ich setzte mich an den
Küchentisch, aß das Fertiggericht, häufig ohne zu wissen, was ich eigentlich
in mich hineinstopfte, und trank dazu den Riesenbecher Diet Coke, den ich
immer mit dazukaufte, um das Essen hinunterzuspülen. Manchmal hatte ich den
Fernseher dabei eingeschaltet, manchmal nicht. Ich achtete sowieso nie darauf,
was gerade für eine Sendung lief. Wenn der Fernseher an war, erzeugten das Bild
und der Ton die Illusion, in meiner Wohnung würde etwas passieren, was mir aus
irgendeinem Grund gefiel.
    Nach dem Essen räumte ich auf.
Dreimal die Woche kam eine Putzfrau, die auch die anderen Wohnungen in dem Haus
sauber machte, und sie kümmerte sich auch um meine Wäsche, eigentlich gab es
also nie viel für mich zu tun. Ich stellte gerne meine Sachen um: Zum Beispiel
ordnete ich manchmal meine Bücher im Regal neu, eine Mischung aus einigen wenigen
Romanen, am Kassenregal im Supermarkt erstanden, und Handbüchern für
Softwareentwickler. Manchmal ordnete ich sie nach Größe, ein anderes Mal nach
Farbe. Die Folienkartons, in denen die Fertiggerichte verpackt waren, spülte
ich aus, trocknete sie ab und bewahrte sie auf, ordentlich gestapelt, für den
Fall, dass ich sie noch einmal brauchte. Ab und zu stellte ich auch die
Kartonstapel anders hin. Es wirkte beruhigend. Hin und wieder räumte ich den
Kühlschrank leer und wischte ihn sauber, eine Arbeit, die die Putzfrau gerne
übersah. Es stand nie viel drin, eine Packung Cheddarscheiben, ein Becher
streichfertiger Butter, ein, zwei Kartons Orangensaft und einige Eier.
    Wenn es nichts sauberzumachen gab,
setzte ich mich hin und übte Kopfrechnen, ein angeborenes Talent. Zahlen waren
für mich wie für andere Menschen Worte. Sich Algorithmen auszudenken war ein
Zeitvertreib, der mich besonders befriedigte. Wenn ich diese
Entspannungsübungen hinter mich gebracht hatte, wurde es Zeit, den Computer
einzuschalten, den Büroserver aufzurufen und noch ein paar Stunden an dem
jeweiligen Projekt zu arbeiten, mit dem ich mich gerade beschäftigte.
Irgendwann vor zwölf ging ich ins Bett und schlief einige Stunden, bis ich um
fünf oder sechs wieder ins Büro fuhr.
    Zehn Jahre lang hatte mich dieser
Alltag vollauf zufriedengestellt, ich brauchte keine Ablenkung in meinem
Leben. Ich machte meine Arbeit gerne. Ich machte sie gut, besser als die
meisten. Meine Arbeit bedeutete mir alles. Andy sagte immer, das sei zwanghaft
bei mir, allerdings verdiente er auch ein Jahresgehalt von £ 70 000 auf dem
Rücken meiner Zwanghaftigkeit, er durfte sich also nicht beklagen.
    Wie die Morgendämmerung, die durch
die zugezogenen Vorhänge eines abgedunkelten Zimmers hindurchschimmert, fing
jetzt in mir ein fahles Licht an zu leuchten, und je heller es wurde, desto
deutlicher zeichnete sich das Asketische und das Einsame meiner Welt ab. Es war
nicht allein der Besuch in Hartlepool Hall, der mich aus dem Gleichgewicht
gebracht hatte. Eines Morgens erwachte ich mit dem Gefühl, als hätte ich einen
schweren Verlust erlitten. Ich hatte geträumt, und mit dem Aufwachen verflogen
die Fetzen der Erinnerung und lösten sich in nichts auf, noch während mein Bewusstsein
versuchte sie festzuhalten. In dem Traum war eine mir sehr nahestehende Person
gestorben, aber trotzdem war diese Person immer noch in der Lage, mir Vorwürfe
zu machen, mich um Hilfe anzuflehen. Es musste eine Frau gewesen sein, ganz
sicher. Während mein Verstand noch gegen die letzten Reste von Schlaf ankämpfte,
kehrte für einen Moment das Traumbild zurück. Am anderen Ufer eines trüben
Sees erkannte ich schemenhaft eine Gestalt, die

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