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Bordeuax

Bordeuax

Titel: Bordeuax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Torday
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Wein am dritten Tag überhaupt nicht mehr geschmeckt habe.
    Francis hörte zu. »In einer idealen
Welt würde man die ganze Flasche an einem einzigen Abend trinken. Aber von
jemandem, der kein geübter Weintrinker ist, kann man das natürlich nicht verlangen.
«
    »Ehrlich gesagt, trinke ich
überhaupt keinen Wein.«
    »Würde es Ihnen etwas ausmachen,
meine Unterschrift unter dieses Dokument zu bezeugen?«, fragte Francis.
    Ich zog einen Stift aus meinem
Jackett, und Francis zeigte mir, wo ich unterschreiben sollte. In dem Feld, in
dem nach dem Beruf gefragt wurde, hatte er einfach nur »Gentleman« eingetragen.
Als ich meinen Namen hingekritzelt hatte, fragte er: »Möchten Sie mal die Gruft
sehen?«
    »Welche Gruft?«
    Er stand auf. »Sie heißt so. Es ist
ein sehr großer Raum unter diesem Haus. Das Hauptgebäude habe ich an die
Gemeinde vermietet, weil es für mich allein viel zu groß ist, aber die Gruft
ist in dem Vertrag nicht mit eingeschlossen. Es ist das Fundament des alten
elisabethanischen Hauses, wir haben es immer als Lager benutzt, hauptsächlich
als Weinkeller. Möchten Sie es mal sehen? Vielleicht interessiert es Sie ja.«
    »Ja, natürlich, sehr gerne«, sagte
ich. Was hätte ich sonst antworten sollen?
    Ich stieg mit ihm die breiten,
ausgetretenen Stufen hinunter, die hinter seinem Schreibtisch in die Düsternis
führten. Auf halber Treppe befand sich ein alter schwarzer Lichtschalter, den
Francis herumdrehte. Vor mir erkannte ich eine schwarze Eichentür, unter der
Ritze sah man einen Lichtspalt schimmern.
    Francis drückte die Tür auf, und wir
befanden uns in der Gruft.
    Es war ein riesiger Raum, wie
Francis bereits angekündigt hatte, das elektrische Licht auf alten Wandlampen
montiert, rostigen Haltern aus Metall, die früher mal für Kerzen gedacht
gewesen waren. Die Birnen waren schwach und gelblich, und sie leuchteten den
Raum keineswegs voll aus. Über mir erkannte ich die Gewölbedecke, die sich
irgendwo in der Düsternis verlor. Ich sah dunkle Seitenkammern, durch Gitter
geschützt, dahinter einige Flaschen. In der Mitte des Raums erhoben sich Stapel
von Weinkisten. Wir mussten um sie herummanövrieren, um unsere Erkundungstour
fortzusetzen. Es war interessant, aber ich hatte mehr erwartet.
    Francis nahm hier und da eine
Flasche zur Hand, nannte mir die Namen der Weine, die Orte, woher sie kamen,
die Winzer, die sie angebaut hatten. Er kannte sich bestens aus, aber für mich
war es wie eine Fremdsprache. Ich war erleichtert, als wir wieder nach oben in
den Laden gingen, wo die Luft frischer war. Der Raum unten hatte etwas
Erdrückendes und Stickiges.
    Oben angekommen, bat Francis mich,
Platz zu nehmen. »Was machen Sie eigentlich unten im Tal?«
    Ich sagte ihm noch mal, dass ich für
ein Softwareunternehmen arbeitete.
    »Für ein amerikanisches Unternehmen?
Gehören diese Unternehmen nicht meistens Amerikanern?«
    »Nein, es ist meine eigene Firma.
Ich habe sie vor zehn Jahren gegründet, heute beschäftigen wir fünfzig Leute.«
    Francis war begeistert. Er wollte
unbedingt wissen, wie es möglich war, dass ein gerade mal Zwanzigjähriger eine
eigene Firma gründen konnte. »So etwas hätte ich nie im Leben fertiggebracht«,
sagte Francis. »Ich bin eben nicht so erzogen worden, dass man für seinen
Lebensunterhalt arbeiten muss. Das musste ich erst mühsam erlernen - wenn man
das Rumsitzen und Warten auf Kundschaft überhaupt so nennen kann: seinen
Lebensunterhalt verdienen.«
    »Ich kann auch nicht behaupten, dass
ich so erzogen worden bin«, sagte ich. »Mein Pflegevater war
Universitätsdozent. Er hielt nicht viel von Computern und Programmierern, und
davon verstehen tat er noch weniger.«
    »Ach. Wurden Sie adoptiert?«, fragte
Francis. Wir sahen uns kurz an, peinlich berührt, aus einem Grund, den ich
nicht verstand. Dann erhob sich Francis, holte aus dem Regal eine neue Flasche
Wein und gab sie mir. »Nehmen Sie, und trinken Sie, und wenn Sie nicht alles
trinken können, schütten Sie den Rest noch am gleichen Abend weg. Sobald die
Flasche geöffnet ist, stirbt der Wein. Nach kurzer Zeit fängt er an zu
oxydieren und büßt alle seine Qualitäten ein. Das ist das Wunderbare und
Enttäuschende zugleich: Wein ist ein Kunstwerk, manchmal ein Geniestreich, für
seine Erschaffung braucht es die Erfahrung eines ganzen Lebens, und dann muss
er noch mal zehn, fünfzehn Jahre in der Flasche heranreifen, bevor wir ihn
schließlich trinken können. Aber kaum ist die Flasche geöffnet,

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