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Bordeuax

Bordeuax

Titel: Bordeuax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Torday
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stirbt der
Wein auch schon. Nach vierundzwanzig Stunden ist er tot.«
    Wieder versuchte ich, ihm Geld für
die Flasche zu geben, aber Francis wollte es nicht annehmen. »Nehmen Sie,
trinken Sie, es ist ein Geschenk. Erst wenn ich sehe, dass Sie wirklich Freude
haben an meinem Wein, werde ich Sie bitten, dafür zu bezahlen.« Er reichte mir
die Flasche und fügte noch hinzu: »Wenn Sie meinen Wein lieben, zahlen Sie den
üblichen Marktpreis.«
     
    2
     
    Ich konnte nicht gut mit Leuten.
Woher auch? Meine Pflegeeltern haben mich adoptiert, weil Mary keine eigenen
Kinder bekommen konnte. So hat sie es mir gegenüber jedenfalls dargestellt,
obwohl ich mich immer gefragt habe, ob es nicht eher an meinem Vater lag, der
sich lieber in seine Bücher über deutsche Politik und das Habsburgerreich Mitte
des 19. Jahrhunderts verkroch, statt mit Mary ins Bett zu gehen. Mary hat mir
oft gesagt, was für ein hübsches Baby ich gewesen sei. Wehmütig sprach sie
davon, wie reizend ich als Kind gewesen sei, aber wenn sie an den Moment
zurückdachte, als sie mich zum ersten Mal sah, den einzigen Moment in dem
ganzen Adoptionsprozess, so schien es, an den sie sich gerne erinnerte, ging
ihr Blick immer an mir vorbei.
    Allerdings behandelte sie mich gut.
Ich wüsste nicht, dass ich je geschlagen worden oder dass auch nur ein böses
Wort gefallen wäre. Nur stellte sie einfach, kurz nachdem sie mich an Kindes
statt angenommen hatte, fest, dass sie mich eigentlich gar nicht liebte, ja,
mich nicht einmal richtig gern hatte.
    Mein Pflegevater machte keinen Hehl
aus seiner Haltung zu mir. Ich war aus Nachsicht gegenüber Mary ins Haus
aufgenommen worden; es war also am besten, wenn ich ihm aus dem Weg ging. Das
fiel mir nicht schwer. Wenn er keine Vorlesungen an der Universität hielt,
schloss er sich meistens zu Hause in einem kleinen Zimmer ein, das er mal als
seine »Bibliothek«, mal als »Büro« bezeichnete.
    Wir führten ein ruhiges Leben. Die
Geselligkeit meines Vaters beschränkte sich auf den Clubraum der
Universitätsdozenten, oder wo immer sonst Professoren für Zeitgeschichte
zusammenkommen, um den Bereich der Bildung abzugrasen. Besuch hatten wir selten,
ob es nun einen Anlass gab oder nicht, und kamen doch einmal Gäste, verlockte
es sie nicht, lange zu bleiben.
    Ich wuchs als Einzelkind auf.
Außerhalb der Schule boten sich mir kaum Möglichkeiten, andere Kinder zu
treffen, aber vielleicht entsprach mir das auch: Ich fand schon in der Schule
schwer Kontakt zu anderen. Ich behielt meine Gedanken für mich. Ich war ein
sehr ordentliches und sauberes Kind, in der Beziehung konnte sich niemand
beklagen. Manchmal blickte ich zum Himmel und sah Sterne, sogar am Tag. Niemand
sonst schien die Sterne zu sehen, die ich sah, also erwähnte ich sie anderen
gegenüber nicht. Im Alter von etwa sechzehn entdeckte ich meine Begabung für
den Umgang mit Zahlen. Ich war in keinem Fach besonders gut, bis ich plötzlich anfing,
mich in Mathematik hervorzutun. Für meinen Pflegevater war das reine
Zeitverschwendung.
    »Was hat man davon, wenn man weiß,
wie man addiert«, fragte er mich, »es sei denn, du hast vor, als Verkäufer zu
arbeiten. Willst du mal Verkäufer werden, Frankie?«
    »Nicht unbedingt«, murmelte ich.
    »Ich hoffe, es wird mal etwas
Anständiges aus dir«, sagte er. »Deine Erziehung war eine beträchtliche
finanzielle Belastung. Du musst auch mal die Opfer sehen, die wir auf uns
genommen haben. Du glaubst doch wohl nicht, dass dieser Großmut ewig währt.«
    Damals wusste ich mit dem Wort
Großmut nicht viel anzufangen. Mein Pflegevater benutzte gerne solche
Ausdrücke.
    »Ich interessiere mich für
Computer«, sagte ich.
    »Oh, Computer«, lautete die Antwort meines Vaters.
    Als ich von der heimatlichen
Universität ein Stipendium für ein Studium der Informatik bekam, wollte ich es
gleich meinem Pflegevater mitteilen und klopfte an die Tür seines
Arbeitszimmers. Bisher hatte es noch nie jemand gewagt, ihn bei seiner Arbeit
an einem Buch zu unterbrechen. Die geplante Biografie Bismarcks verschlang
fast seine ganze Zeit. Angeblich hatte ein Verlag in Augsburg Interesse an den
deutschen Rechten angemeldet.
    »Wer ist da?«, rief er.
    »Ich bin es«, sagte ich. »Frankie.«
    »Was willst du? Ich bin sehr
beschäftigt.«
    »Ich wollte dir nur etwas sagen.«
    Er rief mich herein. Der Überdruss,
der aus seiner Stimme klang, nahm mir jede Lust. Ich machte die Tür auf. Mein
Vater schaute vom Schreibtisch auf. Seine Hände waren

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