Bostjans Flug - Roman
von der Stirn zu wischen, sei er als armer Schlucker oder mit einem goldenen Löffel zur Welt gekommen. Aber Boštjan ist nicht irgendwer, nicht irgendeiner oder irgendwelcher; er ist von dem Platz vor der Kapelle, er ist aus diesem Hause, er ist der gute Bekannte, er ist hier daheim und kehrt immer wieder hierher zurück, er wiederholt die Heimgänge und zieht sie in die Länge und Breite, er bleibt jedesmal vor dem einzigen Dächlein stehen, das es noch gibt und von dem zu Großmutters Zeiten die Prozession über das Feld ihren Ausgang nahm, eine auffällig kurze Prozession von nur drei Personen, aber trotzdem eine heilige Handlung. Boštjan ist zwar nur irgendeiner auf dieser Welt, doch nicht irgendeiner an diesem Ort, trotzdem gibt es keine Reaktion, nie und nimmer macht der Schweiger seinen Mund auf. Er schwieg, als Ugav ihm den Boden unter den Füßen wegzog und Boštjan ins Leere fiel, zum Objekt und Pronomen wurde, anstatt aufzubrausen gegen die beiden Gewalttäter, die gekommen waren, um sie zu holen, und dem Knaben die Würde und die Persönlichkeit genommen hatten. Wer wird ihn nun beim Namen rufen? Sein Vater hatte den Namen nie ausgesprochen, was er herausgebracht und wessen er sich bedient hatte, waren nur Umschreibungen und Fürwörter. Damals, als die Mutter abgeführt und Boštjan der Name genommen, verkleinert und verstümmelt wurde, als
die Gendarmen das Haus mit ihrem arglistigen Flechtwerk umschlangen und dabei auch die umstehenden Gebäude in Mitleidenschaft zogen, betäubten, den Keim der Fäulnis und des Moders auf ihnen hinterließen, damals wandte der Schweiger sein Haupt vom Haus ab und hatte die Augen geschlossen. Boštjan hat Beweise dafür, deutlich ist am Korpus die frische Bruchlinie von der jähen, ruckartigen Wendung des Kopfes zu sehen, ein Spalt, der um den ganzen Hals klafft. Er senkte den Kopf und schloß die Augen, als rundherum das Schlachten vor sich ging. Daß er ein Schweiger ist, das ist ganz im Sinne Boštjans und macht nichts, denn auch Boštjan ist so einer und hat darum mit ihm etwas gemeinsam. Weil er es nicht konnte, sprang er nicht bei, und auch in der Schwäche unterscheidet er sich nicht von Boštjan.
W eder am ersten noch am zweiten Tag kehrte die Mutter zurück. Sie hatte sich von Ugav überrumpeln lassen, der sein Täuschungsmanöver bis zum Schluß durchzog. Die Großmutter rettete das Krankenbett vor ihm und die Kinder die Bequemlichkeit der Beamten. Die Gendarmen wollten auf dem langen Marsch in den Markt nichts riskieren, hätten sie mit ihnen doch nur Scherereien gehabt oder sich ihrer gar hinter einem Busch entledigen müssen. Sie lenkten sie ab, damit sie sich nicht am Kittel festkrallten oder sich an ihre Arme klammerten; es hätte zuviel Aufsehen erregt, wenn sie mit der ganzen Schar in den Markt gekommen wären. So brachten sie an dem Tag den Aufgriff erfolgreich zu Ende, indem sie durch den Graben bis zum Markt im Gänsemarsch gingen, die Mutter zwischen ihnen, im Markt dann nebeneinander, damit Augenzeugen sich über den harmlosen Vorgang vergewissern konnten und zu sehen war, wie sie einer Umherirrenden das Geleit gaben und sie auf den Gendarmerieposten brachten, als Beschützer und Helfer, die sich ihrer erbarmten. Weder an diesem noch am nächsten, noch an irgendeinem anderen Tag kam sie zurück, sie landete im Kerker, und niemand sah sie je wieder aus dem Turm herauskommen. Zuletzt kam auch die Großmutter weg, kein Wunder, denn noch während Ugav sich an das Aufgreifen ihrer Tochter machte, hatte Matilda, die Tödin, bereits die Sense gewetzt, daß es blechern von den Wänden hallte und der Gendarm wie blöd die Augen rollte. Sie überlistete den Gen
darmen, das stimmt, sie überlistete sogar Matilda, beschwindelte sie so gut es ging, im Wissen, daß sie ihr ganz nicht ausweichen würde: Wem sie einmal auf den Fersen ist, den läßt sie nicht mehr so einfach los und schlägt zu, wie es sich gerade ergibt, und sei es mit einem Stoß in den Schritt, der selbst einen Hünen zu Fall brächte. Sie trickste Matilda aus, indem sie gegen sie jene Übergangszeit einsetzte, als sie bereits barfuß durch das schwarze Kornfeld stapfte und die Getreidestoppeln angenehm die Sohlen kitzelten, als, knapp bevor sie den Ackerrand erreichte, die Macht Matildas über sie schon nachzulassen begann. Sie war noch lange nicht aus der Reichweite ihrer weißen Sense, doch die Schnitterin hatte das Eisen zu früh zurückgezogen, im Glauben, mit der Alten sei sie ohnehin
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