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Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Gefahren, vor der Last der Bildung und den Plagen der weiten Welt. Zwar mußte er die Schulmeistereien des Pfarrers über sich ergehen lassen, aber das war etwas anderes; an Sonntagen scharte der Pfarrer alt und jung einmal in dieser, einmal in jener Bauernstube um sich. Boštjan konnte die Christenlehre von vorn und von hinten und noch von der Seite aufsagen; er hatte alle Wahrheiten und Antworten im Kopf, nicht die irdischen, die vom erstbesten Tauwetter weggeschwemmt werden und keinen Groschen wert sind, sondern die göttlichen, festen und gültigen, die ihren Ursprung im Schweiger am Kreuz hatten, ihr hölzernes Denkmal in Sichtweite des Elternhauses besaßen. Für andere Lehren mußte man freilich in den Markt hinunter. Kaum hatte man den Marktboden erreicht, schon spürte man unter den Sohlen, daß es ein Ort war, wo die Altersgenossen sich aneinander wetzten und rieben, sich gegenseitig schärften und es miteinander trieben; merkte man, daß es mit der Gelehrsamkeit nur leidlich stand, was der eine zuviel fand, war dem anderen zuwenig, und daß jene größere hier nicht zu haben war, dazu mußte man hinaus in die Welt, wo es davon genug für alle gab. Der ungerechte
Tod der Großmutter brachte Boštjans Unschuld zu Fall, stellte die Weichen ins Fremde und beschleunigte es, daß die Fundamente völlig ins Wanken gerieten, daß nichts mehr so war wie früher. Der Bann, den die Gendarmen über das Haus verhängt hatten, begann zu wirken. Im Herbst ertönt die Schulglocke, und von da an werden die einen aufgerichtet und die anderen niedergebügelt; daheim haben sich Stein von Stein und Balken von Balken gelöst, das kleine Anwesen fuhr den Berg hinunter und wurde im Handumdrehen von der Wildnis eingenommen, als ginge es um eine begehrte Rarität, einen herrschaftlichen Besitz, ein Gut mit Wäldern und Jagdrevieren, mit Einkünften aus Pachtzins, Leibrenten und Aussteuern, die ihr da zugefallen waren. Sie hätte sich nicht so hochfahrend über den Bauerngrund herzumachen brauchen, auf dem er noch vor nicht langer Zeit die Schafe geweidet hatte und immer vor dem Stoßwidder geflüchtet war, es wäre nicht nötig gewesen, mit Gewalt auf die Gebäude loszugehen und sich dabei auch noch prahlärschig aufzuspielen, wo sie ohnehin nur noch von einer alten, kraftlosen und bettlägrigen Kranken bewacht wurden.
    Der Umschwung hatte sich schon Tage zuvor angezeigt, als sie nur wartend dalag und Boštjan noch nicht wußte, worauf sie wartete. Kaum war die Petroleumfunzel ausgegangen, stand schon der Schaub am Kopfende des Bettes, stockig und bemoost, auf breitem Fuß, ohne Arme und ohne Hals, mit gelbglühendem Haupt. Das verhängte Fenster hatte ihn nicht aufzuhalten vermocht, oder vielleicht war er aus dem Vorraum hereingekommen, durch den Spalt in der Tür. Er stand nur da und rührte sich nicht, und höchst seltsam war es auch, daß schon die Stille allein solch einen Schrecken verbreitete. Boštjan hätte sich gern unter der Bettdecke an die Großmutter ge
drückt, doch er hatte Angst, sie würde zu Staub zerfallen, wenn er sie nur berührte. So blieb er wie angebunden am Fußteil des Bettes sitzen, verkrampft und blutleer, und preßte die erstarrte Hand mit aller Kraft gegen die Petroleumlampe, um sie zu putzen, damit es heller im Raum würde, um am Rädchen zu drehen und durch das Hochbrennen des Dochtes den Schaub vom Kopfteil des Bettes zu verscheuchen und aus dem Haus zu jagen. Der klotzige, einbeinige, modrige Schaub, auf der Lauer nach leichter Beute, nach Boštjan, um auch ihn zu holen, zog sich vor dem aufflackernden Stinkfunzeldocht schlurfend in einen Winkel zurück und wartete im Halbdunkel darauf, daß der Schein nachließ, um sich dann wieder der Kopfseite zu nähern. Noch als sie auf der Bahre lag und das Klageweib die Kerze schneuzen mußte, damit die Stube nicht in völlige Dunkelheit versank, regte sich der Schaub in seiner Ecke und zielte nach der Bank, auf der Boštjan saß. Und die paar Begräbnisgänger und Besprenger reichten gerade aus, daß sich auch der Schaub mit ausgeklügeltem Gesicht unter sie mischen konnte. Wenn die Rosenkranzperlen zwischendurch einmal zum Stillstand kamen, ließ sich sein raschelndes Strohgelächter hören. Von Zeit zu Zeit stoben Funken von ihm weg, erhellten für einen Moment oder zwei den Winkel und erloschen, noch ehe die anderen es bemerkten; aus den Augenwinkeln schien es, als hätte jemand eine Kerze angefacht oder geputzt.

    A lles Lebendige weicht von hier,

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