Boy Nobody: Ich bin dein Freund. Ich bin dein Mörder. (German Edition)
geändert.«
»Stimmt. Aber denk mal darüber nach, warum.«
Denk nach.
Das war eins der Spiele, die wir während meiner Ausbildung spielten.
Mutter stellte eine Frage, auf die es eine eindeutige Antwort zu geben schien. Sobald ich sie wusste, platzte ich damit heraus. Und fand mich superschlau.
Dann machte mich Mutter auf die Komplexität der Frage aufmerksam, auf Antworten, auf die ich nicht allein gekommen wäre.
Denk nach.
»Was die ursprüngliche Aufgabe angeht«, sagt Mutter, »hattest du da nicht gleich zu Anfang eine Lösung?«
Der Bürgermeister. Er war mein ursprüngliches Zielobjekt und ich bin sogar am ersten Tag in seinem Arbeitszimmer gewesen.
»Wenn ich die Aufgabe am ersten Tag gelöst hätte, hätte ich einen Fehler gemacht.«
Weil der Bürgermeister nichts verbrochen hat. Er hat seine Tochter geliebt. Man kann ihm höchstens vorwerfen, dass er ihr zu viele Freiheiten gelassen hat. Ich hätte einen Unschuldigen getötet.
Das Programm hat einen Fehler gemacht, nicht ich.
Ich habe die schuldige Person entlarvt.
Es sei denn …
Denk nach.
Wenn ich den Bürgermeister beseitigt hätte, wäre der Besuch des Premierministers abgesagt worden.
Das Treffen im Gracie Mansion hätte nie stattgefunden.
Gideon wäre nie in Aktion getreten.
Und Sam?
Nach dem Tod ihres Vaters hätte sie keinen Schaden mehr anrichten können, denn sie hätte keinen Zugang mehr zu geheimen Informationen gehabt. Das Zielobjekt hätte nicht geändert werden müssen. Der Bürgermeister wäre tot, aber Sam wäre noch am Leben.
Und ich müsste mir jetzt nicht den Kopf zerbrechen.
Hätte ich gleich am ersten Tag zugeschlagen, wäre die Sache kurz und schmerzlos erledigt gewesen.
Also habe ich eine falsche Entscheidung getroffen.
»Nachdem du beim ersten Mal versagt hast, hat sich die Situation verändert. Es gab neue Informationen«, sagt Mutter. »Deshalb mussten wir den Auftrag anpassen. Wenn du sofort gehandelt hättest, wäre das nicht nötig gewesen.«
Als könnte sie meine Gedanken lesen. Als wäre sie mir auf ihre kalt berechnende Art immer zehn Schritte voraus.
»Deine alte Mutter ist nicht dumm«, fährt sie fort. »Vielleicht vertraust du ihr das nächste Mal, wenn sie dir sagt, was du tun sollst.«
Zehn Schritte voraus, aber nicht allwissend. Denn den Beweis für Sams Verrat habe ich entdeckt.
Sie hat mich nicht gefragt, wie ich dahintergekommen bin. Das bedeutet, dass sie nichts von Howard weiß.
Noch nicht.
Vielleicht weiß sie, dass Mike mir eine zweite Chance gegeben hat, vielleicht auch nicht.
Weiß sie auch, was mir Mike über meinen Vater erzählt hat?
»Du hast gesagt, dass wir nach diesem Auftrag darüber reden würden, ob ich nach Hause kommen kann.«
»Stimmt, das habe ich gesagt.«
»Ich würde dich und Dad gern wiedersehen.«
»Wir würden dich auch gern sehen. Aber wegen des Umzugs ist es jetzt etwas ungünstig.«
»Ihr zieht um?«, frage ich.
»Sozusagen.«
»Könnt ihr nicht etwas Zeit für mich einplanen?«
»Es tut mir leid, mein Schatz. Aber uns sind die Hände gebunden.«
Die Hände. Gebunden.
Ich denke daran, wie ich auf dem Stuhl in dem dunklen Lagerhaus saß und Mike versucht hat, mich einzuschüchtern.
Mutter hatte ihn geschickt.
»Es gibt noch viel mehr, über das wir reden sollten«, sage ich.
»Das werden wir auch.«
Ich höre, wie sie im Hintergrund auf einer Tastatur herumtippt. Schreibt sie einen Bericht über das, was hier passiert ist? Legt sie alles fein säuberlich ab?
Vielleicht ist das für sie nur ein Auftrag wie jeder andere, eine Aufgabe, die sie auf ihrer Liste abhakt. Ein Agent, der eigenmächtig gehandelt hat, aber jetzt wieder pariert.
Zach Abram ist in den Schoß der Familie zurückgekehrt.
Auftrag ausgeführt.
»Übrigens bekommst du demnächst eine E-Mail . Dein Vater wird dir was schicken.«
»Ich freu mich drauf. Aber ich muss jetzt auflegen, Mom. Es gibt noch viel zu erledigen, bevor ich meine Zelte hier abbreche.«
»Ich hab dich lieb«, sagt sie.
Ich will etwas antworten, aber mein Mund ist wie ausgetrocknet.
Ich hole tief Luft. Ich schlucke. Und halte mich ans Drehbuch.
»Ich dich auch. Bis bald«, sage ich.
Und beende das Telefonat.
»Ich wusste, dass du kommen würdest«, sagt Howard.
Ich stehe in der Tür seines Zimmers.
Er ist allein zu Hause. Das macht es mir umso leichter.
Auf den Monitoren hinter ihm sind zahlreiche Fenster geöffnet. Zeitungsberichte über Sams Tod, die Reaktionen der Öffentlichkeit, die
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