Boy Nobody: Ich bin dein Freund. Ich bin dein Mörder. (German Edition)
Pressekonferenz des Bürgermeisters.
»Warst du dabei, als Sam …?«
Er verstummt.
»Nein«, lüge ich. »Aber ich weiß, dass sie nicht gelitten hat.«
Dieser Teil ist zumindest wahr.
Howard fängt an zu weinen. »Bin ich irgendwie schuld daran?«
»Wie kommst du denn darauf? Du hast versucht, es zu verhindern. Wir beide haben’s versucht.«
»Meinst du wirklich?«
»Natürlich.«
Das scheint ihn zu beruhigen.
»Sie war immer nett zu mir«, sagt er.
»Du hast sie nicht wirklich gekannt.«
»Wen kennt man denn schon wirklich?«
Die Monitore wechseln alle gleichzeitig zum Bildschirmschoner. Gojis Avatar schwebt über einen Sternenhimmel, ihreriesigen Augen strahlen. Ihr Gesicht wandert von einem Bildschirm zum nächsten.
»In der
Daily News
schreiben sie, dass der Bürgermeister für die nächsten Präsidentschaftswahlen kandidieren soll«, sagt Howard. »Ist das nicht unglaublich? Kaum ist Sam tot, wird die Sache schon politisch ausgeschlachtet.«
»Und ich wette, das ist erst der Anfang.«
Howard schnieft und wischt sich die Nase am Ärmel ab. Dann hat er sich wieder im Griff.
»Ich muss dir was zeigen. Ich hab nämlich was Interessantes rausgefunden.«
Er bewegt die Maus und der Sternenhimmel verschwindet. Ich sehe lange Zahlenreihen, die mir nichts sagen.
»Was ist das?«, frage ich.
»Ich bin im Netz ständig auf irgendwelche digitalen Fußabdrücke gestoßen. Im Blog, im Terminkalender des Bürgermeisters. Egal, wo ich war, immer war schon jemand vor mir da.«
»Die Israelis hängen da irgendwie mit drin. Könnten die’s gewesen sein?«
»Glaub ich nicht. Das waren Hacker. Vor allem ein ganz spezieller. Ein Junge, der sich Infinite nennt.«
»Infinite?«
»Das ist sein Pseudonym. Infinite L∞P. Mit einem Unendlich-Zeichen anstelle der beiden O. Endlosschleife. Soll wohl originell sein.«
»Was weißt du noch über ihn?«
»Er scheint ein ziemliches Arschloch zu sein. Ist erst zwölf und hält sich für genial. Er hat auch wirklich was drauf. Aber er ist total eingebildet. Deshalb macht er sich auch nicht die Mühe, seine Spuren zu verwischen. Eine hab ich bis zu Spotify verfolgt. Er steht auf Songs von Katy Perry. Klingt nicht gerade nach einem Genie, was?«
»Ein zwölfjähriger Hacker?«
»Und er ist nicht der Einzige. Es gibt jede Menge dieser Kids. Ein ganzes Netzwerk. Jeder ist in einer anderen Stadt. Ich dachte, du wüsstest das. Wegen deinem Job.«
»Ich hatte keine Ahnung davon.«
Aber vielleicht weiß das Programm Bescheid. Womöglich haben sie im ganzen Land ihre kleinen Helfer sitzen. Die sorgen dann für die technische Unterstützung, während ich die Drecksarbeit erledige.
»Du hast dich also im Netz rumgetrieben?«
»Ich wollte dir nur helfen.«
Er ist sieben Schritte von mir entfernt. Ich verringere den Abstand auf fünf.
»Ich hab meine Spuren verwischt«, sagt Howard. Ein ängstlicher Ton stiehlt sich in seine Stimme.
»Glaub ich dir. Ich mach dir auch gar keine Vorwürfe.«
Ich trete noch einen Schritt näher.
»Ich weiß, dass ich eine Gefahr für dich bin«, sagt er.
Eine Gefahr. Er hat recht. Deshalb bin ich ja hier. Um auch die letzte Gefahr auszuschalten.
Ich mache noch einen Schritt. Er senkt den Kopf und starrt auf den Boden.
»Bring mich ruhig um. Du tust mir nur einen Gefallen.«
»Ich will dich nicht umbringen.«
Das Problem ist allerdings Mutter.
Sie hat mir meine Alleingänge durchgehen lassen. Aber nur, weil sie nicht alles weiß. Dass ich gegen die Regeln verstoßen habe, mag noch angehen, aber dass ich einen Außenstehenden eingeweiht habe …
Ich will Howard nicht töten, andererseits darf ich keinerlei Spuren hinterlassen.
Und Howard ist eine Spur, die direkt zu mir führt. Auch wenn er meine wahre Identität nicht kennt, kann er mich in große Schwierigkeiten bringen.
Womöglich kann er den Mund nicht halten. Prahlt in der Schule herum. Oder erzählt Goji von der Sache. Außerdem wird man ihn automatisch mit mir und Sam in Zusammenhang bringen.
Töte nur, wenn es unbedingt sein muss. So lautet eine Grundregel meines Jobs.
Aber Howard ist ein Sicherheitsrisiko. Daran führt kein Weg vorbei.
Es wird wie Selbstmord aussehen.
Howard hat Sam angehimmelt. Jeder in der Schule wusste das. Und er ist psychisch labil. Seine Schulakte wird das bestätigen.
Man wird sagen, dass Sams Tod Howard den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Der größte Loser der Schule verkraftet nicht den Verlust seiner heimlichen
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