Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall
Präsidenten auf den Boden der disharmonischen Realität zurückzuholen und schweige.
Er insistiert aufs Neue: »Also, frisch heraus, Herr Feller: Lieben Sie Brahms?«
Mist! Ich komme offenbar nicht darum herum, Stellung zu beziehen. »Um Ihnen die Wahrheit zu sagen, Herr Auf der Maur. Brahms figuriert in meiner Klassikhitparade nicht auf den Spitzenrängen. Wozu fragen Sie?«
»Sie arbeiten als Privatdetektiv, nicht wahr?«
Ich nicke. Natürlich entgeht das meinem Anrufer.
»Es handelt sich um einen Auftrag«, sagt er und klingt geheimnisvoll.
Meine Neugierde ist jedenfalls geweckt.
»Es ist mir zu Ohren gekommen, dass Sie sich in Sachen Urkunden gut auskennen.«
Ich verhalte mich jeglicher Form von positiver Verstärkung gegenüber grundsätzlich misstrauisch und antworte nur zögerlich. »Ja. Ich kenne mich mit Handschriften etwas aus.«
»Gut. Gerne würde ich mich mit Ihnen unter vier Augen unterhalten. Es handelt sich nämlich um eine delikate Angelegenheit.«
» Delikat tönt mehr nach einer kulinarischen Herausforderung. Eine solche suche ich in der Tat, Herr Auf der Maur.«
Er verdankt meine Bemerkung mit herzhaftem Gelächter. Ein heiterer Mensch. Wird man so, wenn man oft genug Brahms hört?
»Habe ich Sie richtig verstanden? Sie wollen mich als Detektiv engagieren?«
»Richtig. Als was denn sonst, Herr Feller?« Er grölt schon wieder.
Seine Rhetorik empfinde ich eher als Herabsetzung. Immerhin könnte man mich nach wie vor noch als Pädagogen einstellen. Als Privatlehrer für Nachhilfeunterricht in Deutsch und Geschichte. Neben den obligaten Reit-, Tennis- und Geigenstunden, den kostspieligen Shoppingtouren im Bälliz und dem inflationären Versenden von belanglosen SMS wird der Schülerschaft die Erfüllung der Promotionsbedingungen nicht selten prekär. Ein Privatpauker könnte nach dem Rechten sehen. Erfahrungsgemäß mangelt es dem Nachwuchs oft nur an Fleiß und geeigneten Lerntechniken. Nachhilfe wäre keine schlechte Idee. Eben hätte ich noch zur Verfügung gestanden. Ab heute ist das anders.
»Wann und wo wollen wir uns treffen?«, erkundige ich mich.
»Ich richte mich ganz nach Ihnen.«
»In dem Fall schaue ich am besten bei Ihnen zu Hause vorbei. Wo wohnen Sie, Herr Auf der Maur?«
»Ecke Blümlisalpstraße/Ringstraße. Die grüne Jugendstilvilla. Nicht zu verpassen. Sie kennen das Quartier?«
»Selbstverständlich, ich bin Thuner«, entgegne ich mit gespielter Entrüstung. Voreilig. Es existieren eine innere, eine mittlere und eine äußere Ringstraße. Welche ist gemeint? Später erst werde ich meine diesbezügliche Wissenslücke realisieren und darum eine ganze Weile im Seefeld herumirren.
»Ist Ihnen morgen Nachmittag recht? So um 14.30 Uhr zum Tee?«
»Ja, passt.«
»Schön. Ich erwarte Sie, Herr Feller. Seien Sie auf eine Überraschung gefasst!«
3
Nach dem vielversprechenden Anruf erinnere ich mich an das bevorstehende Treffen mit meinem Assistenten.
10.30 Uhr, in der Cafébar Alte Oele. Ich bin früh dran und blättere in einer alten Illustrierten. Dabei stoße ich auf einen mehrseitigen Fotobericht über den Sprayer von Zürich, unter der Rubrik ›Was macht eigentlich Xy‹ ? Schon komisch, wenn einem dort ein Mann mit graumelierten Schläfen als ehemaliger Bürgerschreck vorgeführt wird. Das Porträt steht unter einer Bildstrecke seiner typischen Werke, den Strichmännchen mit den dreieckigen Köpfen und dem zyklopenhaften Auge.
In dem Moment öffnet sich die Glastür. Jüre tritt ein.
»Das glaubst du nicht«, begrüße ich ihn. Er schaut mich verständnislos an.
»Was?«
»Eh, das da, was ich soeben gelesen habe.«
Er reicht mir die Hand, rückt einen Bugholzlehner vom Tisch und setzt sich gutgelaunt. »Ciao, Hanspudi. Schieß los!«
Bevor ich ihm den Artikel kurz zusammenfasse, bestelle ich zwei Stangen helles Bier. Hiernach lege ich die Illustrierte vor ihn auf den Tisch. »So werden aus jungen Sprayern alte Spießer. Da schau, der Dosenkünstler von Zürich zum Beispiel. Er verunziert nur noch Bettwäsche und Tischsets. Alles total kommerzialisiert. Keine Spur mehr von Auflehnung gegen das Grau des urbanen Einerleis.«
»Tja. Bei gewissen Leuten gilt er jetzt als etablierter Künstler«, kommentiert Jüre.
»Stimmt«, pflichte ich ihm bei. »Zum Glück bestrafen sich diese Menschen gleich selbst. Sie verlieren ihre sauer verdienten Moneten mit der spekulativen Investition in wertlose Wandaktien.« Darauf erheben wir unsere
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