Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall
aufgenommen?«
»Gerührt, so viel ich weiß. Clara notierte jedenfalls in ihr Tagebuch, dass sie der ›Brautgesang‹ durch den › tiefsinnigen Schmerz in Wort und Musik‹ erschüttert habe.«
»Komische Verhältnisse«, meine ich und provoziere damit Widerspruch.
Jüre reckt den Kopf nach vorn wie ein geprellter Erpel. »Komische? Tolerante ! Bis heute ist nämlich ungeklärt, wer in der Familie Schumann am meisten in den hübschen Jungen verknallt war, Julie, Clara oder Robert.«
»Robert? Willst du sagen …?«, deute ich an.
»Nicht ich. Ein deutscher Musikprofessor verbreitet es: Papa Schumann soll jungen Männern durchaus zugetan gewesen sein. Das erstaunliche Engagement für den unbekannten Komponistenschnösel gewinnt damit eine neue Erklärung. Überlege mal, Hanspudi: Schumann hat die ganze Kraft seines internationalen Einflusses in den Dienst des undankbaren Schützlings gestellt. Und zwar bevor Brahms eine einzige Note veröffentlicht hat! Ich habe gelesen, dass Robert den Johannes im berühmten Essay ›Neue Bahnen‹ enthusiastisch feierte und voller Bewunderung schrieb: ›Er trug, auch im Äußeren, alle Anzeichen an sich, die uns ankündigen: Das ist ein Berufener‹! Reine Bewunderung für sein Äußeres also«, stellt Jüre fest.
»Ob sie tatsächlich so rein war, die Bewunderung ? Sie belegt jedenfalls, dass es gutaussehende Menschen im Leben leichter haben. Aber das muss ich einem Adonis ja nicht erklären.«
»Nein, das brauchst du wirklich nicht. Warum wohl suche ich seit Jahren erfolglos eine Anstellung als Schriftsetzer?«, antwortet er. »Und Brahms? Hat ihm sein Aussehen Ansehen gebracht? Fakt ist, dass er erst 15 Jahre nach dem überproportionierten Schumannlob den Durchbruch schaffte. Mit dem › Deutschen Requiem‹ .«
» Immerhin«, sage ich. »Damit hat er sich doch noch sein Plätzchen auf dem Olymp der unsterblichen Musikgenies gesichert.«
Jüre widerspricht schon wieder: »Unsterblich? Erstens starb Brahms im Alter von 63 Jahren in Wien. Dort liegt er seither in einem feuchten Ehrengrab. Zweitens hat ihm ein berühmter Zeitgenosse eine Schaufel Dreck nachgeschmissen: ›Was liegt noch an Johannes Brahms? Sein Glück war ein deutsches Missverständnis: Man nahm ihn als Antagonisten Wagners – man brauchte einen Antagonisten!‹«
»Wer soll das gesagt haben?«, frage ich.
» Also sprach Friedrich Nietzsche«, antwortet Jüre pathetisch. Er tönt nach Übermensch. Ist das gut für einen Assistenten?«
4
Pünktlich um 13.30 Uhr stehe ich vor einer moosgrünen Villa aus der Jahrhundertwende und staune nicht schlecht.
Beim freundlichen Herrn, der mir die schwere Eichentür öffnet, handelt es sich um ein bekanntes Gesicht. Und das, obschon ich Herrn Auf der Maur bisher nicht persönlich kennengelernt habe. Ich muss nicht lange überlegen, woher mir seine markanten Züge vertraut sind. Der Mann, der kürzlich am Brahmsquai den Gärtner zum Reinigen der Bronzeplastik bewogen hat, ist mit meinem Gastgeber identisch. Er trägt einen weißen Ziegenbart und schütteres Kopfhaar. Ein staatsmännischer Riecher verleiht dem älteren Herrn Würde. Durch dicke Brillengläser trifft mich ein schwermütiger Blick. Seine Augendeckel sind auf Halbmast hängen geblieben. Insgesamt erinnert er mich an einen amtsmüden Parlamentarier.
Der Präsident der Brahmsgesellschaft bittet mich ins getäferte Entree. An den Wänden hängen goldgerahmte Veduten und Stiche mit Thunermotiven, dem alten oder neuen Schloss Schadau, dem mittelalterlichen Burgtrakt des Thuner Schlosses mit den vier schlanken Ecktürmen und dem Hünegg, dem verspielten Jugendstilschlösschen.
Im gedämpften Licht einer Hängelampe aus opakem Glas eilt Auf der Maur in einen großzügigen Salon voraus. Hier riecht es angenehm nach Leder, Holzpolitur und Teppichwolle. Hohe Fenster eröffnen den Blick in einen parkähnlichen Garten.
»Nehmen Sie Platz, Herr Feller«, bittet er. Dazu macht er eine einladende Geste mit der rechten Hand. Auf einem chinesischen Tischchen mit kurzen O-Beinen dampft Tee aus rot-weißem Porzellan. Nur die braune Porzellankuh mit Rahm im gewölbten Leib steht deplatziert inmitten des aparten Services.
Ich sinke in den weichen Clubsessel und schaue ungeniert um mich. Ein schwarz lackierter Bösendorfer weckt meine Aufmerksamkeit. Auf dem imposanten Tasteninstrument liegen Notenblätter bereit. Die Tastatur aus vergilbten Elfenbein lädt zum Musizieren ein.
Der Gastgeber erhebt sich. Er
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