Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel
ihrer Schwangerschaft erfahren hatte. Bei einem ihrer seltenen Besuche des Mineralbades in Bad Cannstatt hatte sie ihn damit überrascht. »Schau mich genau an«, sie lachten heute noch gemeinsam über ihre Worte, »wenn du mich schlank in Erinnerung behalten willst.« Am Rand des Beckens stehend, hatte sie ihm die ärztliche Bestätigung ihrer längst artikulierten Vermutung übermittelt.
Einen besseren Zeitpunkt hätten sie kaum finden können. Wenige Wochen vorher war es dem beim Stuttgarter Landeskriminalamt tätigen Kriminalhauptkommissar Braig und seiner Kollegin Katrin Neundorf gelungen, die Mordserie an einem jungen Schachspieler, einem Politiker und zwei weiteren jungen Männern in Reutlingen, Köngen, Ostfildern und Strümpfelbach im Remstal aufzuklären – ein Erfolg, der ihn endlich von dem wochenlang anhaltenden Druck befreit hatte, der während langwieriger Ermittlungen oft auf ihm lastete, auch wenn er in diesem Fall durchaus zwiespältiger Natur und mit einem hohen Preis erkauft worden war: Seine Kollegin hatte, die unmittelbare Bedrohung von Braigs Leben durch eine vierfache Mörderin vor Augen, die Frau erschossen. Den Schock über diese ohne jeden Zweifel in purer Notwehr begangene und von der Getöteten bewusst provozierte Tat hatte Neundorf bis heute nicht vollkommen überwunden; zwar war in tagelangen polizeiinternen Ermittlungen jeglicher auch nur geringste Hauch eines Zweifels an der Rechtmäßigkeit ihres Verhaltens ausgeräumt worden, doch hatte sich seine Kollegin immer noch nicht von allen Selbstvorwürfen befreit. Sie war auf Drängen ihrer Vorgesetzten hin fünf Wochen in therapeutischer Behandlung gewesen, hatte anschließend bis über Weihnachten hinweg dieselbe Zeitspanne Urlaub genommen und dann erst vor wenigen Tagen wieder den Dienst angetreten. »Ich stehe tief in deiner Schuld«, hatte Braig sie begrüßt, »du hast mir das Leben gerettet.« Neundorf hatte nur unwillig abgewinkt.
Ann-Katrin Räubers erste Schwangerschaftsmonate waren bislang weitgehend beschwerdefrei verlaufen. »Du traust dir das wirklich noch zu?«, hatte Braig mehrfach einzuwenden versucht, wenn seine Partnerin allzu wenig Bereitschaft zeigte, Rücksicht auf ihre körperliche Veränderung zu nehmen.
»Noch liege ich nicht in der Klinik auf der Intensivstation«, war sie nicht müde geworden, alle seine Befürchtungen gebetsmühlenartig abzuwehren.
Sie hatte sich für unbeschränkte Zeit beim Waiblinger Polizeirevier in den Innendienst versetzen lassen, war außerdem noch um eine Reduzierung ihrer Dienstverpflichtung auf fünfzig Prozent vorstellig geworden.
»Regis wimpina, das königliche Wimpfen hat man die Stadt genannt«, hatte Eva Weiper voller Stolz über ihre neue Heimat ihren Besuchern bei einem kleinen Rundgang erklärt, »immerhin war es die größte Pfalz, die Kaiser Friedrich Barbarossa auf deutschem Boden hat errichten lassen. Später wurde Wimpfen Freie Reichsstadt. Und 1803, infolge der Neuordnung der Länder durch Napoleon, kam die Stadt zu Hessen und blieb bis 1945 in dessen Händen. Aber damit hat es sich noch lange nicht. Denn weitaus älter als die Bergstadt ist das Wimpfen im Tal. Dort siedelten schon die Kelten. Und die Römer gründeten an dieser Stelle die Unterstadt Cornelia, an deren Stelle heute noch die romanische Ritterstiftskirche in Form der Benediktinerabtei steht. Ihr seht, ich habe die Geschichte meines neuen Wohnortes gut gelernt.«
Sie hatten sich die ausführlichen Erklärungen geduldig angehört, waren dann in die kleine Wohnung ihrer Gastgeberin zurückgekehrt, wo diese sie mit Kaffee und selbst gebackenem Kuchen bewirtet hatte. Eva Weiper hatte sich vor etwas mehr als einem halben Jahr von ihrem Mann getrennt, war, weil es sich beruflich hatte einrichten lassen, von Frankfurt weg in die kleine Stadt am Neckar gezogen, um jeder zufälligen Begegnung mit ihrem Ex vorzubeugen.
»Es war höchste Zeit. Wir hätten uns zerfleischt«, hatte sie erklärt.
Ein hartes Resümee nach sechs Jahren Ehe und vierzehn Jahren gemeinsamen Lebens, war es Braig durch den Kopf gegangen. Steht Ann-Katrin und mir ein ähnliches Schicksal bevor?
»Ich hoffe, dass ihr mehr Glück habt«, war es der Frau anscheinend gelungen, seine Gedanken zu lesen, »ganz bestimmt hilft euch das Kind dabei.«
Das Kind als zusätzliches Bindeglied? Er hatte noch nicht darüber nachgedacht, war sich der Konsequenzen des zukünftigen Familienzuwachses noch längst nicht in allen Variationen bewusst.
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