Brandeis: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
gewesen. Leider auch nicht mit anderer Arbeit, für die er sich begeistern konnte. Also hatte es ihn hierher verschlagen. Groß Zicker auf Mönchgut, Südrügen. In ein Gesindehaus mit zugigen Fenstern, maroden Türen und einem windschiefen Schuppen mit Werkzeug, für dessen Zustand und Vollständigkeit er die Verantwortung hatte.
Im letzten Winter war er drauf und dran gewesen, die Brocken hinzuschmeißen. Raus aus der schäbigen Wohnküche, die auch an Sonnentagen nie richtig hell war. Weg von diesem tristen Hof, auf dem das bisschen Winterarbeit einen gerade mal davor bewahrte, nicht ganz in Schwermut und im Suff zu versinken.
Aber dann war es Frühling geworden und die Sache mit Manuela passiert. Mit Manu, die das Haus ihrer Großmutter geerbt und jemanden gesucht hatte, der es ihr für wenig Geld auf Vordermann brachte. Thiel hatte keine Ahnung, wie und warum sie gerade auf ihn gekommen war. Jedenfalls hatte sie an einem Tag Ende März vor seiner Tür gestanden und gefragt, ob er Zeit und Lust hätte, zwei Zimmer und eine Küche herzurichten. Tapezieren, streichen. Nichts Schwieriges also, aber notwendig, damit sie einziehen konnte.
Jeden Tag war er nach Feierabend in das kleine graue Haus draußen am Dorfrand gegangen, hatte alte Tapeten heruntergerissen, neue geklebt und gestrichen, Türen und Fenster lackiert und darauf gewartet, dass sie irgendwann auftauchte, um zu sehen, wie weit er gekommen war. Sie brachte Bier mit, für jeden zwei Flaschen, und Stullen auf einem Teller, den sie zwischen sich auf den Boden stellten, weil Tisch und Stühle noch fehlten.
Es war Mai und die Arbeit fast getan, als sie eines Abends den Teller beiseiteschob, sich vor Thiel kniete, ihn küsste, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, ihn zu Boden zog, sich auf ihn setzte und begann, die Knöpfe seines Hemdes zu öffnen. Nur kurz dachte er daran, dass es nichts gab, was sie vor Blicken von draußen verbarg, dann überließ er sich ihr. Sie schien zu wissen was sie wollte.
»Schön war’s«, sagte sie später. Sie saßen nebeneinander in dem stockdunklen Haus, an eine noch ungestrichene
Wand gelehnt, sie ein Bier, er eine Zigarette in der Hand. »Du solltest nur nicht denken, dass es etwas zwischen uns ändert.«
»Schon klar«, sagte er und kaute stumm an einer Frage, die er besser nicht stellen sollte.
»Dann ist gut.« Sie tat einen tiefen Atemzug wie nach der Erledigung einer unangenehmen Aufgabe, dann lehnte sie den Kopf an seine Schulter und schwieg.
Was sie betraf, war alles gesagt. Er wusste das und platzte trotzdem heraus:«Es gibt einen anderen, oder?«
Sie hob den Kopf, drehte sich so, dass er sie näher und wärmer spürte. Ihren Atem an seinem Hals, ihre Brust an seinem Arm. Und dann ihren Zeigefinger auf seinen Lippen.
»Das geht dich nichts an, Hiddenseer. Ich kann es nicht ausstehen, danach gefragt zu werden. Von niemandem, verstehst du? Auch von dir nicht.«
Zum ersten Mal seit Langem hatte sie ihn nicht mit seinem Vornamen angesprochen. Sie hatte ihn zurückgeschoben hinter die feine, scharfe Trennlinie, hinter die gehörte, wer nicht von hier war. Und wie’s aussah, änderte daran auch nichts, dass sie eben noch beieinandergelegen hatten, wie er es sich näher kaum vorstellen konnte.
Er war dreiundzwanzig Jahre alt und ausgerechnet in diese Frau verliebter, als er es je für möglich gehalten hätte.
Das wird bitter, dachte er und zog sie zurück in
seinen Arm. Er wollte sein Gesicht in ihrem Haar vergraben, ihren Geruch einatmen, solange sie es zuließ.
Es gab andere.
Und es gab einen, der sie alle kannte. Einen, der aus seiner Deckung zwischen den niedrigen Kiefern ans Haus schlich, wenn sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte. Der sich einredete, Manu wisse um seine Blicke durch ihre Fenster und lasse ihn an ihrer Lust teilhaben, um seine anzustacheln. Mit der Qual der Angst, er würde entdeckt, und dem Wunsch, sie sähe ihn an. Ob mit Neugier oder Erschrecken, das wusste er nicht. Nur, dass er ihren Blick auf seinem Geschlecht wie eine Berührung spüren wollte und sich davon Erlösung versprach.
1
Der Raum machte dem Ruf der Anstalt alle Ehre. Der Vorzeigeknast. Helle, warme Farben zwischen Dotterblume und gelbem Sand. Sogar Bilder an der Wand. Zwei Küstenlandschaften mit weitem, wolkenbetupftem Himmel. Ein Versuch, den Knackis die Schönheit der Welt vor Augen zu halten, vermutete Thiel und rätselte nicht zum ersten Mal, ob sich aus dem Bilderglas eine Waffe
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