Brandeis: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
brüllen lassen, bis er sich beruhigte.
Dann hatte die Staatsanwältin ihre Fragen gestellt. Und endlich Antworten bekommen.
Angefangen? Angefangen hatte es mit dem Kleid. Einem dämlichen, sauteuren Kleid. Sie hatte es mitgehen lassen, und er hatte dafür gesorgt, dass keine große Sache daraus wurde. Hatte es bezahlt und die Anzeige verschwinden lassen. Mit der Gegenleistung, die er verlangte, war sie einverstanden gewesen. Eine ganze Weile jedenfalls. Dann hatte sie plötzlich nicht mehr gewollt. Einfach so. Er hatte gerast vor Wut und sich genommen, was ihm zustand.
Und sie hatte das mit sich machen lassen?
Musste sie ja wohl, oder? Wenigstens solange sie in Stralsund wohnte. Deswegen war sie doch zurückgegangen. War bei ihrer Mutter untergekrochen und hatte geglaubt, in diesem Kaff, in dem ihn jeder kannte, würde er sie in Ruhe lassen.
Geliebt? Ob er sie geliebt hatte? Darum ging es doch gar nicht.
Sondern?
Darum, dass sie es mit jedem dahergelaufenen Penner trieb, Handlangern, Tagelöhnern. Und ihn eiskalt abservierte. Ihn einfach übersah, nicht mal mehr antwortete, wenn er sie ansprach.
Deswegen hatte er sie getötet?
Ja.
Und daraus hatte sich alles andere ergeben.
30
Der Winter hatte sich nur langsam zurückgezogen. Die Schneedecke war dünn und grau geworden, blieb aber bis zum März liegen wie eine löchrige, ungewaschene Decke. An sonnigen Tagen schmolz das Eis auf dem Bodden, gefror in den Nächten wieder zu einer glasklaren Schicht, in der sich der Himmel spiegelte. In den ersten offenen Wasserstellen zwischen Grieben und dem Bessin drängelten sich die Schwäne, am Schwedenhagen machten die Enten Spaziergänge über das Eis.
Tagelang hatte eine Stille über der Insel gelegen, die Thiel kaum ertrug. Manchmal suchte er sich am Steilufer einen Platz mit freier Sicht auf die offene See und brüllte sich die Wut von der Seele.
Jemand musste ihn dort gesehen haben, denn im Dorf ging das Gerücht, er werde nun wohl doch noch verrückt.
Und das, obwohl sich gerade alles zum Besseren wendete, sofern es stimmte, was die Zeitungen schrieben. Auch wenn das letzte Wort natürlich noch nicht gesprochen war. Aber dieser Stralsunder Kommissar war gewiss nicht ohne Grund verhaftet worden. Wegen
nichts und wieder nichts hackte eine Krähe der anderen kein Auge aus.
Thiel schwieg dazu.
Er begann, seine Brandruine aufzuräumen, schichtete Balken und Bretter scheiterhaufenhoch auf und schlug die Wände bis aufs Fundament ein.
Mit dem Wiederaufbau wartete er bis zu dem Tag, an dem Ehmke gestand.
»Verstehe ich nicht.« Pieplow trank einen Schluck Bier. Es war kühl, aber sonnig, und der Stapel, auf dem sie saßen, roch nach frischgesägtem Bauholz. »Sie hätten vor Wochen schon anfangen können. Es war doch klar, wie die Sache ausgehen würde.« Er betrachtete die ersten Reihen ziegelroter Hohlsteine, zwischen denen Zementwülste vorquollen.
»Mir nicht«, sagte Thiel. »Sie wissen doch: Vor Gericht und auf hoher See sind wir in …« Er stockte. Die Gotteshand wollte ihm nicht über die Lippen. »… weiß man nie, wie’s ausgeht. Ich hab da so meine Erfahrungen.«
»Mit dem Unterschied, dass diesmal alles für Sie sprach. Das Alibi, das Sie für den Mord an Rohrbach hatten, die Anzeigen und Festnahmeprotokolle in Ehmkes Wohnung, die Aussagen der beiden Polizisten, die Rohrbach damals festgenommen und bei Ehmke abgeliefert haben. Von Möhles und Barings Geständnissen ganz zu schweigen.«
Thiel trank aus und öffnete mit seinem Feuerzeug die nächste Flasche. »Nee, Pieplow, das hätte nicht
gereicht, um mich zu entlasten. Dafür brauchte es Ehmkes Geständnis.«
»Das haben wir ja jetzt«, sagte Pieplow.
»Wir sollten auf Ostwald trinken.« Thiel hob die Flasche zum Trinkspruch. »Ohne ihn wär’s nicht gegangen.«
»Wahrscheinlich nicht«, sagte Pieplow.
Thiel kramte seinen Tabak aus der Hosentasche und drehte sich eine Zigarette. Sie wurde ziemlich krumm und zog schlecht. »Ich begreif’s nicht«, sagte er kopfschüttelnd. »Ich begreife nicht, dass diese ganze Scheiße nur passiert sein soll, weil dieses Schwein nicht gekriegt hat, was es wollte. Das ist doch krank, Pieplow. Einfach nur krank.«
Pieplow stellte seine Bierflasche weg und schwieg. Wollte nur noch nach Hause. Mit Marie Abendbrot essen und reden. Ihr zuhören, wenn sie Leonie vorlas. Vielleicht noch einmal ans Wasser gehen. Vor allem aber nicht mehr an das denken, was Thiel die ganze Scheiße nannte.
»Was werden Sie
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