Brandzeichen
erste Haferflockenplätzchen zu beißen, als Art Streck sich neben sie setzte.
»Hallo, Hübsche.« Er trug nur blaue Turnhosen, Laufschuhe und dicke weiße Wollsocken. Offensichtlich war er nicht gelaufen, denn er schwitzte nicht. Er war muskulös, mit breitem Brustkasten und tiefgebräunt und wirkte sehr männlich. Seine Kleidun g diente einzig und allein dem Zweck, seinen athletischen Körper zur Schau zu stellen, und so wandte Nora sofort die Augen ab.
»Schüchtern?« fragte er.
Sie konnte nicht sprechen, weil der Bissen von dem Haferflockenplätzchen ihr im Mund steckengeblieben war. Sie brachte auch keinen Speichel zuwege. Sie fürchtete zu erstikken, wenn sie versuchte, das Plätzchen zu schlucken, aber sie konnte es nicht einfach ausspucken.
»Meine süße, schüchterne Nora«, sagte Streck. Nach unten blickend, sah sie, wie heftig ihre rechte Hand zitterte. Das Plätzchen zerbröckelte zwischen ihren Fingern zu Krümeln, die auf das Pflaster zwischen ihren Füßen hinunterfielen. Sie hatte sich gesagt, dieser Spaziergang, der den ganzen Tag dauern sollte, sei ein erster Schritt zur Befreiung, jetzt aber mußte sie sich eingestehen, daß es noch einen anderen Grund gegeben hatte, das Haus zu verlassen: Strecks Annäherungsversuchen aus dem Weg zu gehen. Sie hatte Angst gehabt, zu Hause zu bleiben, Angst, er werde immer wieder anrufen. Jetzt hatte er sie im Freien gefunden, außerhalb des Schutzes ihrer verriegelten Fenster und versperrten Türen. Und das war noch viel schlimmer als das Telefon, unendlich schlimmer.
»Sieh mich an, Nora!«
»Nein.«
»Sieh mich an!«
Das letzte Stück des sich auflösenden Plätzchens entfiel ihrer rechten Hand. Streck nahm ihre linke Hand, sie versuchte ihm Widerstand zu leisten, aber er drückte zu, quetschte ihre Fingerknochen zusammen, und so gab sie nach. Er legte ihre Hand mit der Handfläche nach unten auf seinen nackten Schenkel. Sein Fleisch war fest und heiß. Ihr wurde übel, ihr Herz schlug wie wild, sie wußte nicht, ob sie sich zuerst übergeben oder in Ohnmacht fallen würde. Ihre Hand langsam auf seinem nackten Oberschenkel hin und her schiebend, sagte er:
»Ich bin genau das, was du brauchst. Hübsche. Ich kann's dir besorgen.«
Das Haferflockenplätzchen verklebte ihr den Mund, als wäre es aufgequollene Paste. Sie behielt den Kopf unten, hob aber die Augen, um unter gesenkten Wimpern hervorzuschauen. Sie hoffte jemanden in der Nähe zu entdecken, den sie zu Hilfe rufen konnte, aber da waren nur zwei junge Mütter mit ihren kleinen Kindern, und auch die waren zu weit weg, um helfen zu können. Jetzt nahm Streck ihre Hand von seinem Schenkel und legte sie auf seine nackte Brust.
»Hast wohl einen hübschen Spaziergang gemacht, wie?« sagte Streck.
»Hat dir die Mission gefallen? Wie? Und waren die Yucca-Blüten am Gerichtsgebäude nicht hübsch?« Und so ging es in diesem lässigen, selbstzufriedenen Ton weiter. Er erkundigte sich, wie ihr andere Dinge gefallen hätten, und sie erkannte, daß er ihr den ganzen Morgen gefolgt war, in seinem Wagen oder zu Fuß. Sie hatte ihn nicht bemerkt, aber es gab keinen Zweifel, denn er wußte über jede ihrer Bewegungen seit Verlassen des Hauses Bescheid, und das ärgerte und erschreckte sie mehr als alles bisherige. Sie atmete schnell und kräftig und hatte doch das Gefühl, ersticken zu müssen. In ihren Ohren dröhnte es, und doch konnte sie jedes seiner Worte nur zu deutlich hören. Sie dachte daran, nach ihm zu schlagen, ihm die Augen auszukratzen, und war doch wie gelähmt, nah daran, zuzuschlagen, aber unfähig, es zu tun, von Wut getrieben, zugleich von Furcht geschwächt. Sie wollte schreien, nicht um Hilfe, sondern im Gefühl ihrer Hilflosigkeit.
»Also«, sagte er, »jetzt hast du einen richtigen netten Spaziergang gemacht, im Park hübsch zu Mittag gegessen und bist entspannt. Weißt du, was jetzt nett wäre? Weißt du, womit du diesen Tag krönen kannst. Hübsche? Einen besonderen Tag daraus machen kannst? Wir gehen jetzt zu meinem Wagen, fahren zu deinem Haus, gehen hinauf in dein gelbes Zimmer und steigen in dein Himmelbett...« Er war in ihrem Schlafzimmer gewesen! Gestern. Als er im Wohnzimmer den Fernseher hätte reparieren sollen, mußte er sich nach oben geschlichen haben, dieser Schweinehund, und hatte den allerpersönlichsten Raum, den sie besaß, durchforscht, ihr Heiligtum betreten und in ihren Habseligkeitcn gewühlt.
»... in dieses riesige alte Bett. Und dann werd' ich
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