Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brann 03 - Das Sammeln der Steine

Brann 03 - Das Sammeln der Steine

Titel: Brann 03 - Das Sammeln der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
Vom Netzwerk:
darauf, ihn nicht zu wecken. Fauler alter Löwe. Sie bildete die Wörter mit den Lippen, sprach sie jedoch nicht laut aus. Wie ein dicker, fetter Kater, der in der Sonne schläft. Brann betastete den dichten Wirrwarr seiner Haare. Wird eine gehörige Arbeit sein, das auszukämmen. Einer der größten Zauberer läuft mit Altweiberknoten auf dem Kopf umher, es ist eine Schande, das ist es. Sie hielt sich, indem sie gähnte, eine Hand vor den Mund, und trat vor den Ankleidetisch, den ihr Maksim vor einigen Jahren in Kukurul gekauft hatte.
    Der Ankleidetisch bestand aus einer niedrigen Platte aus poliertem Ebenholz und passenden, mit Silber beschlagenen Schubläden an beiden Seiten sowie einem magisch hergestellten Spiegel, dessen Glas so glatt war wie Seide und die Wirklichkeit viel getreuer widerspiegelte, als es Brann an diesem Herbstmorgen behagte. Vielleicht lag es an der grünlichen Helligkeit, aber Brann hatte den Eindruck, zehn Jahre älter als am Vorabend auszusehen. Sie beugte sich näher zum Spiegel, fuhr sich mit den Fingern nachdrücklich über die Wangenknochen, glättete und straffte die Haut. Sie seufzte. Seelentrinkerin. Damit ist Schluß. Ich muß meine Zöglinge nicht mehr füttern. Sie sind von mir unabhängig geworden. Brann trat zurück, rückte das Sitzkissen mit einem Fußtritt heran, nahm Platz und begann sich die Haare zu bürsten. Es gab keinen Grund mehr für die Seelentrinkerin, nachts durch die Straßen zu streifen und alle Arten von Räubern, die den Schwächeren auflauerten, ums Leben zu bringen. Die Wandelkinder konnten sich nun selber ernähren; außerdem waren sie längst keine Kinder mehr. Einoder zweimal im Jahr kamen sie geflogen, besuchten Brann und erzählten ihr von den Merkwürdigkeiten, die sie gesehen hatten, doch sie blieben nie lange. Jal Virri sei langweilig, hatte Jay einmal gesagt. Brann hielt inne; nach kurzem Stocken bürstete sie weiter. Es stimmt. Ich bin aus Langeweile lahm geworden. Mein Dasein ist nutzlos. Mein Leben hat keinen Sinn mehr.
    Sie legte die Bürste weg und starrte in den Spiegel, betrachtete ihr Gesicht mit nüchterner Sachlichkeit, musterte die Flächen und Mulden, als hätte sie vor, ein Selbstbildnis zu malen. Sie war nie ein hübsches Kind gewesen, und ebensowenig war sie heute eine Schönheit. Sie nahm ihr Spiegelbild mit einer Miene des Mißmuts in Augenschein. Wäre ich jemand anderes, der mich ansieht, würde ich sagen: Die Frau hat interessante Knochen, ich möchte sie gern malen. Oder: Ich möchte sie malen, ehe ihr Gesicht vollends einsinkt. Unzufriedenheit. Sie bewirkte im menschlichen Gesicht gräßliche Folgen, machte die Haut schlaff, verursachte um den Mund und auf der Stirn Furchen des Mürrischseins. Ihre Brüste waren voll, rund und straff, an ihnen gab es nichts zu beanstanden, doch wenn sie saß, hatte sie ein Bäuchlein; sie senkte die Hände darauf, drückte und preßte ihn, seufzte danach nochmals und griff erneut nach der Haarbürste. Nicht mehr lange, und ich muß dafür bezahlen, daß jemand mit mir ins Bett steigt. Sie strich die Borsten durch die weichen, weißen Haarsträhnen. Bald werde ich wie eine alte Mähre sein, die niemand mehr will und ihr Gnadenbrot verzehren darf.
    Sie schnitt ihrem Spiegelbild eine Fratze und lachte, doch der Ausdruck ihrer Augen blieb traurig, und das Lachen erstickte schnell. Vielleicht wäre ich tot besser dran. Mit dem Handrücken schabte sie sich unterm Kinn, spürte dort erschlaffte Muskeln. Tod? Ein Wahngedanke. Ich benötige nur die Lebenskraft eines einzigen Menschen, und schon bin ich wieder jung, in der Verfassung wie damals, als ich getan habe, was Slya von mir wollte, einer Verfassung, als zählte ich bloß vierundzwanzig, fünfundzwanzig Jahre. Für mich gibt es keinen Tod. Nicht einmal ein wirkliches Altern, nur ein endloses Weiter-, Weiter-, Weiterleben. Mich erwartet kein Friede. Kein Abstreifen der Bürden des Daseins, kein stilles Betten in der Erde. Was für eine seltsame Einsicht, daß der Tod ein Segen sein konnte. Kein Fluch. Nun ja ... Auf jeden Fall, hatte man erst einmal das Sterben bewältigt. Nicht der Tod bedeutete die Schwierigkeit, sondern das Sterben. Ob man mich sterben ließe? Brann stand auf, schaute sich über die Schulter hinweg nach Maksim um. Ein schwerer Arm war ihm vom Bett gefallen, hing so über die Bettkante, daß die Oberseiten der Finger auf der Schilfmatte ruhten, die den Fußboden bedeckte.
    Brann verließ das Zimmer, strebte durch mehrere andere,

Weitere Kostenlose Bücher