0236 - Voodoo-Samba
Obwohl es zehn Männer waren, verursachten sie kaum ein Geräusch.
Die nackten Füße schleiften über den schmutzigen Boden, hinterließen Spuren, die schon bald von dem aufgewirbelten Staub, der durch die alte Ruine fuhr, verdeckt wurden.
In der Ruine lauerte das Grauen.
Versteckt, wo früher die Kellerräume lagen, hatte es sich manifestiert, und in dieser stürmisch gewordenen Nacht sollte es hervorgeholt werden.
Der Bau eignete sich vorzüglich für das Vorhaben. Vor zwei Monaten war er ausgebrannt. Ein sechsstöckiges Haus, von dem nur die äußeren Mauern noch standen. Gespenstisch wirkten die Vierecke der leeren Fensterhöhlen inmitten der rußschwarzen Mauern, kein direktes Licht traf das alte, ausgebrannte und verlassene Haus, und es stand mit seiner düsteren Silhouette vor dem nachtdunklen Himmel.
Das Haus befand sich in London. Es hätte auch ebenso gut in Tokio, New York oder Paris stehen können, denn all diese Städte besaßen ebenfalls Viertel, die man als Slums bezeichnete. Selbst von Polizisten wurden sie nach Möglichkeit gemieden.
Wer hier lebte, der gehörte zum Ausschuß, zu den Pennern, den Trinkern, den Freaks der Gesellschaft. Obwohl auch sie Träume und Wünsche hatten, die aber nie über den Blickwinkel einer leeren Ginflasche hinausgingen.
Nathan Kilby war so ein Mann. Auch er dachte an Alkohol. Da er jedoch bei den umliegenden Wirten der Kaschemmen keinen Kredit bekam, entschloß er sich, auf andere Art und Weise Geld zu verdienen.
Er stellte seine Ohren auf Lauschposition. Und wer richtig hinhörte, der erfuhr auch was.
So war es dann auch mit Kilby. Schon einige Male hatte er der Polizei Tips gegeben und dafür kassiert. So konnten Diebstähle aufgeklärt werden, zwei Raubüberfälle und eine Vergewaltigung.
Kleine Fische für Kilby, die nur wenig brachten. Er träumte von dem großen Fischzug.
Und den glaubte er nun entdeckt zu haben, denn was in der Ruine geschah, das war schon mehr als unheimlich zu bezeichnen. Das grenzte an Zauber, Magie — und an Mord…
Daraus ließ sich bestimmt Kapital schlagen.
Nathan Kilby gab Scotland Yard einen Tip…
***
Und wir reagierten.
Wir, das waren Suko und ich. Vielleicht hätten wir früher gelacht, doch mittlerweile hatten wir uns entschlossen, auch den kleinsten Spuren nachzugehen.
Lieber mal einen Tritt ins Leere riskieren, als anschließend die Suppe auszulöffeln.
So eine Suppe schien zu brodeln, wenn man den geheimnisvollen Andeutungen des Spitzels Nathan Kilby Glauben schenken durfte. Mich hatte er nicht direkt erreicht, sondern einen Verbindungsmann von ihm.
Der hatte aber sofort geschaltet und mich gefragt, ob ich mich den Tip was kosten lassen wollte.
»Wieviel?« lautete meine Frage.
»Fünf Pfund.«
Das war zwar nicht die Welt, aber auch nicht gerade wenig. Und ein Krösus bin ich auch nicht. Trotzdem ließ ich mich mit diesem Spitzel verbinden.
Über seine ginrauhe Stimme mußte ich grinsen. Das verging mir, als ich seine Informationen hörte, die, wenn sie stimmten, verdammt brisant sein konnten.
»In der alten Ruine bereiten sie etwas vor. Magie, Zauber, Köpfe, Sir. Ja, Köpfe, die gelb leuchten und mal auf Körpern gesessen haben.«
»Schrumpfköpfe?« fragte ich.
»Kann ich nicht sagen, nur Köpfe. Kommen Sie und bringen Sie das Geld mit. Entscheiden Sie sich schnell, Sir.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob Sie mich auf den Leim führen wollen, denn fünf Pfund…«
»Nathan Kilby handelt nicht. Meine Informationen waren bisher immer gut.«
»All right, überredet. Und wo sollen wir uns treffen?«
Er nannte eine Straße zwischen den Stadtteilen Hoxton und Shoreditch.
Das war finsterstes Londoner Eastend. Wer da nicht zugehörte und trotzdem hinkam, mußte sich fünf Leibwächter mitnehmen. Ungefähr so wie die South Bronx in New York.
»Und wie finde ich Sie?«
»Nehmen Sie die U-Bahn bis zur Old Street. Ich warte da ab 22 Uhr auf Sie.«
»Ich bringe aber jemanden mit.«
»Mir egal, nur denken Sie an die fünf Pfund. Nicht vergessen…«
Dieses Gespräch spukte mir im Kopf herum, während Suko und ich in einem Wagen der U-Bahn hockten. Bis in den Stadtteil Holborn hinein waren die Wagen noch gut gefüllt, aber sie wurden schnell leerer, je mehr wir uns dem Londoner Eastend näherten.
Wie ein Pfeil raste der Zug durch die Röhren. Rumpeln, Schaukeln, mal das Fauchen von Bremsen, alles Geräusche, an die ich mich längst gewöhnt hatte, und auch Suko, mein Freund und Kollege, saß mit stoischem
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