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Brasilien: Ein Land der Zukunft

Brasilien: Ein Land der Zukunft

Titel: Brasilien: Ein Land der Zukunft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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oben scharten sich hinter Palisaden vor vierhundert Jahren die Ansiedler zusammen, um gegen Überfälle von Piraten oder Eingeborenen geschützt zu sein. Aus dem Lehmwall wurde allmählich eine Mauer, hinter der die Stadt sich gesichert erhob; bald wagte man Kirchen zu bauen und Paläste auf dem schroff abwehrenden Fels, und dieses wundervolle Profil, diese weit geschwungene, diese königliche Linie hat sie sich erhalten. Nichts in Südamerika weiß ich dieser stolzen, dieser majestätischen Haltung zu vergleichen, mit der an der gleichen Stelle wie zu Cabrals und Magellans Tagen Bahia über seinen Hafen und seine alten Kastelle weithin über den Ozean blickt.
    Wandert man empor den steilen, von bröckelnden Häusern umrahmten engen Weg, so erkennt man, wie reich diese Stadt einmal gewesen. Sie ist nicht verarmt heute, sie ist nicht zurückgesunken. Sie ist nur stehengeblieben, und das gibt ihr jene Schönheit, wie sie alle Städte haben, die Jahrzehnte und Jahrhunderte verträumt haben, wie Venedig, wie Brügge, wie Aix-les-Bains. Zu stolz, um der neuen Zeit ungestüm nachzujagen und Wolkenkratzer zu türmen, um mit Rio de Janeiro, mit São Paulo zu wetteifern, zu lebendig anderseits, um zu verfallen wie die Goldstädte von Minas Gerais und museal zu werden, ist sie geblieben, was sie war: die Stadt des alten portugiesischen Brasiliens, und einzig hier fühlt man Brasiliens Herkunft und seine jahrhundertealte Tradition.
    Diese Tradition spürt man überall. Bahia hat – im Gegensatz zu allen andern brasilianischen Städten – seine eigene Tracht, seine eigene Küche, seine eigene Farbe. Nirgends zeigt sich die Straße so bunt wie hier, wo die afrikanische, die alt-koloniale Bevölkerung sich geschlossen behauptet hat; ununterbrochen meint man die Szenen aus Debrets ›Brésil pittoresque‹ [Malerisches Brasilien] als lebendige Bilder zu sehen, all diese einstigen Dinge, die längst aus den andern Großstädten verschwunden sind. Zwar steuern die Automobile puffend die Straßen entlang, aber in der Altstadt schleppen noch Maultiere auf schaukelnden Sätteln Früchte und Holz, Lastesel kann man hier noch nach der Stunde zur Beförderung mieten wie Autos in einer modernen Stadt, und am Hafen wird die Fracht wie zu römischen und phönizischen Zeiten nicht durch künstliche Krane, sondern auf dem Rücken der Lastträger in die Schiffe geholt. Die Verkäufer mit ihren breitkrempigen Strohhüten tragen wie eine ungeheure Waage auf ihren Schultern die Stange, von der rechts und links die Ware niederhängt, auf dem nächtlichen Markt sitzen bei Kerzen oder Acetylenflammen die Händler auf der bloßen Erde inmitten Bergen von Orangen, Kürbissen, Bananen und Kokosnüssen. Während an ihren steinernen Kais die Ozeandampfer groß und mächtig liegen, schaukeln noch am Ufer die Segelschiffe, die von und zu den Inseln fahren, schmal, schlank und leicht, ein schwankender Wald von Masten. Und sogar die Tangadas sieht man noch, die Kanoes der alten Brasilianer, eine Kuriosität ohnegleichen. Eigentlich ist es nur ein Floß, aus drei oder vier Baumstämmen ohne jede Kunst zusammengenagelt und darauf ein enger Sitz, nichts Primitiveres kann man sich erdenken. Aber mit diesen winzigen Flößen steuern die Leute verwegen weit hinaus ins Meer – man kann es nicht fassen – , und man erzählt die heitere Geschichte, wie ein amerikanischer Dampfer, als er ein solches Floß mit seinem armen Segel weitab vom Lande sah, sofort beigedreht habe in der Meinung, er müsse Schiffbrüchige retten. Alles spielt hier in den buntesten Formen durcheinander, Heute und Gestern. Da ist die alte Universität mit ihrer hochberühmten Fakultät, die älteste des Reiches, die Bibliothek und der Palast und die Hotels und der moderne Sportklub. Und zwei Straßen weiter, und man lebt in portugiesischer Sphäre; kleine, niedere Häuschen, überfüllt mit Menschen und Leben, die tausend Formen des Handwerks und bald dahinter schon die »Mocambos«, die Negerhütten zwischen ihren Bananensträuchern und Brotbäumen. Da sind asphaltene Straßen und daneben das katzenköpfige Pflaster verschollener Zeiten; in zwei, in drei, in vier verschiedenen Jahrhunderten kann man in Bahia innerhalb von zehn Minuten zugleich sein, und jedes wirkt gleich echt und natürlich. Denn das ist der eigentliche Zauber von Bahia: alles ist hier noch echt und unbeabsichtigt; die sogenannten »Sehenswürdigkeiten« drängen sich dem Fremden nicht auf, sie sind unmerklich

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