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Brasilien: Ein Land der Zukunft

Brasilien: Ein Land der Zukunft

Titel: Brasilien: Ein Land der Zukunft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Blick auf einen Autor berechtigt, der seine Biographien – z.B. Fouché (1930); Marie Antoinette (1932); Maria Stuart (1935); Erasmus (1935) – dramatisch gestaltete und auch sein Leben unter dramatischen Gesetzen ablaufen sah.
    Der Start ins literarische Leben erfolgte noch während des Studiums der deutschen und französischen Literatur in Berlin und Wien, das er 1904 mit einer Dissertation über Hippolyte Taine abschloss. 1901 erschien die Lyriksammlung Silberne Saiten , hervorstechend in ihrer »aufdringlichen Süßlichkeit und wässrigen Geschwollenheit« (Erich Mühsam). In den nächsten Jahren debütierte Z. außerdem mit Prosa und Dramen. Später hat er diese »ästhetische Zeit« gern verleugnet, da er bald die Erweiterung seines »Horizonts vom Literarischen ins Zeitgeschichtliche« erreicht habe: Nun wollte Z. vor allem als Europäer und Pazifist gesehen werden. Ausgedehnte Reisen und intensive Kontakte ließen ihn zu einem sich kosmopolitisch fühlenden Intellektuellen reifen, der eine Allianz des Geistes gegen die Machtpolitik zu bilden hoffte. Während des Ersten Weltkriegs schloss er sich einer Gruppe von Intellektuellen an, die von Zürich aus für den Frieden stritten. Zu ihr gehörten u.a. Leonhard Frank, Hermann Hesse, James Joyce, Annette Kolb, Frans Masereel, Romain Rolland, Fritz von Unruh. Aus dieser neuen Stimmung heraus entstand das wohl beste Drama Z.s, Jeremias (1917), das wie fast alle seine Werke »das Problem der seelischen Superiorität des Besiegten« behandelt. Ein Titel wie Castellio gegen Calvin oder ein Gewissen gegen die Gewalt (1936) hebt im Untertitel programmatisch hervor, was auch für die großen Biographien und mehr noch für die meisten der zahlreichen biographischen Essays, z.B. über Sigmund Freud, Fjodor Dostojewskij, Friedrich Hölderlin, Heinrich von Kleist, Friedrich Nietzsche, Leo Tolstoi gilt. Z.s Werke beeindrucken durch strenge Ethik, bewusst herausgestellte Humanität und hohen geistigen Anspruch. Nach dem Ersten Weltkrieg konnte Thomas Mann ihn »die bedeutendste dichterische Frucht dieses Krieges« nennen. Als Z. sich in den 1920er Jahren in Salzburg niederließ, besuchte ihn die geistige Elite Europas in seinem Haus. Ein Mann, der sich so zur Freundschaft berufen und sich besonders Romain Rolland und Émile Verhaeren verbunden fühlte, der sich als Europäer um die Erhaltung der alten geistigen Werte bemühte, musste im fernen Brasilien verzweifeln. Aber diese Depression wurde noch genährt durch einen Pessimismus, der Z. seit den 1920er und 30er Jahren immer wieder befiel. Sein Optimismus, mit moralischen Appellen in die Politik eingreifen zu können, wich allmählich einem starken Ohnmachtsgefühl. Anders als z.B. Heinrich Mann, der Geist und Tat gern verbunden sah, gab sich Z. frühzeitig einer Resignation hin: »Die anderen mögen die praktischen Konsequenzen ziehen, ich selbst bin nur ein Mann der moralischen Aktion. Ich kann nur vereinigen und besänftigen, aber ich verstehe nicht zu kämpfen.« Z. wollte als »eine moralische Autorität« gelten, und dafür sollte sein Werk zeugen, das meist die »Welt von Gestern« beschwor, d.h. die Vergangenheit der Gegenwart als Beispiel vor Augen führen wollte. Aber es ist bezeichnend für sein Geschichtsverständnis, dass er die Vergangenheit allein unter personalem Gesichtspunkt sah und die psychologische Deutung suchte, dabei aber die wirkenden politischen, sozialen und ökonomischen Prozesse vernachlässigte. Entweder verdichtete sich für ihn die Geschichte zu herausragenden historischen Momenten, wie in seinem erfolgreichsten Buch Sternstunden der Menschheit (1927), oder zu tragischen Lebensläufen, in denen der einzelne einem übermächtigen Schicksal ausgeliefert ist. »Gleichgültig gegen den Willen des einzelnen, stößt oft der stärkere Wille der Geschichte Menschen und Mächte in ihr mörderisches Spiel« ( Maria Stuart , 1935).
    Mit solchen Schicksalsformeln war keine Erklärung der geschichtlichen Prozesse zu gewinnen; als Deutung wusste Z. allenfalls Naturmetaphorik (»vulkanische Erschütterungen«) oder eine personalisierte Geschichte als »Dichterin, als Dramatikerin« anzubieten. Aber wahrscheinlich gründet gerade in dieser Unbestimmtheit der große Erfolg: Z. spricht nicht als Geschichtslehrer, nicht als Aufklärer, sondern als ein an der Welt Leidender und Verunsicherter, der sich und den Lesern allenfalls Trost, aber keinen Mut zum Handeln vermitteln konnte. »Da saß man und harrte und

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