Brasilien: Ein Land der Zukunft
erforderlichen Beamtenschaft sechshundert Soldaten und vierhundert Desgrenhados mit, die alle späterhin in der Stadt oder auf dem Lande sich ansiedeln werden. Auch das Nötigste an Material für den Aufbau der Stadt wird ausgeschifft, und sofort macht sich alles gemeinsam ans Werk; in vier Monaten wird eine Festungsmauer errichtet, um den Platz zu verteidigen, Häuser und Kirchen werden errichtet, wo vordem nur klägliche Lehmhütten gestanden. Eine koloniale und eine städtische Verwaltung wird in dem vorläufig noch höchst provisorischen Palácio do Governo [Verwaltungspalast] eingerichtet und als sichtbarstes Zeichen einer endlich eingeführten und schon höchst notwendigen Justiz ein »cárcere« [Kerker] erbaut, erster mahnender Hinweis auf den Willen zu strenger künftiger Ordnung. Alle sollen fühlen, daß sie nicht mehr Ausgesetzte, Vergessene, Exilierte und Heimatlose sind jenseits von Recht und Pflicht, sondern angeschlossen an das heimische Gesetz. Mit der Gründung einer Hauptstadt und der Einsetzung eines Gouverneurs hat der bisher bloß amorphe Organismus Brasilien ein Herz und ein Hirn gewonnen.
Sechshundert Soldaten oder Matrosen und vierhundert Desgrenhados nimmt Tomé de Souza mit sich, tausend Männer im Harnisch oder rauhen Arbeitshemd; aber wichtiger als diese tausend Männer des Arms und der Kraft werden für das Schicksal Brasiliens die sechs Männer in schlichten dunklen Kutten sein, die der König zu geistiger Führung und geistlicher Beratung Tomé de Souza mitgegeben. Denn diese sechs Männer bringen das Kostbarste, was ein Volk und ein Land zu seiner Existenz benötigt: eine Idee, und zwar die eigentlich schöpferische Idee Brasiliens. Diese sechs Jesuiten haben eine neue und noch ganz unverbrauchte Energie, denn ihr Orden ist jung und voll heiligen Eifers, seinen besonderen Sinn zu bewähren. Noch lebt der Führer Ignacio de Loyola, der ihn begründet, noch gibt sein asketischer Wille, seine eherne Denkkraft, sein zielklarer Fanatismus ihnen sinnliches, sichtliches Beispiel der Selbstdisziplin; wie bei allen religiösen Bewegungen ist bei den Jesuiten die seelische Intensität, die sittliche Reinheit in den Jahren des Anfangs und vor dem eigentlichen Erfolg auf der höchsten Stufe. 1550 sind die Jesuiten noch keine geistliche, weltliche, politische, ökonomische Macht wie in den späteren Jahrhunderten – und jede Form von Macht vermindert die moralische Reinheit eines Menschen wie einer Partei. Besitzlos in jedem Sinne der Einzelne wie der Orden, verkörpern sie nur einen bestimmten Willen, also ein durchaus noch geistiges, noch nicht ins Irdische ganz eingemengtes Element. Und sie kommen zur besten Stunde, denn für ihre großartige Konzeption, durch geistige Kriegerschaft die religiöse Einheit der Welt wieder herzustellen, bedeutet die Entdeckung der neuen Erdteile einen unerhörten Gewinn. Seit 1519 der wilde Deutsche auf dem Reichstag von Worms den religiösen Weltkrieg entfachte, ist Europa schon zu einem Drittel und beinahe zur Hälfte von der Kirche abgefallen und der Katholizismus, einstmals die »ecclesia universalis« [allgemein anerkannte Kirche], eher in die Verteidigungsstellung gedrängt. Welcher Vorteil darum, wenn man die neuen Welten, die sich plötzlich aufgetan haben, rechtzeitig für den alten, den wahren Glauben erobern und damit gleichsam eine zweite und breitere Front hinter der ersten schaffen könnte! Da die Jesuiten nichts fordern, keine Besoldung, keine Bevorzugung, billigt der König João ihre Absicht, dies neue Land für den Glauben zu gewinnen und gestattet sechs dieser »Soldaten Christi«, die Expedition zu begleiten. Aber in Wirklichkeit werden diese Sechs nicht die Begleiter, sondern die Führer sein.
Mit diesen sechs Männern beginnt etwas Neues für Brasilien. Alle vor ihnen waren entweder auf Befehl oder aus Zwang oder auf der Flucht gekommen; wen bislang ein Schiff absetzte an diesem Strand, der wollte etwas aus diesem Lande herausholen, Holz oder Früchte oder Vögel oder Erze oder Menschen; keiner hatte daran gedacht, dem Lande etwas als Gegengabe zu bringen. Die Jesuiten, das sind die ersten, die nichts für sich und alles für das Land wollen. Sie führen Pflanzen und Tiere mit sich, um die Erde zu befruchten, sie bringen Medizinen, um die Menschen zu heilen, Bücher und Instrumente, um die Ungebildeten zu belehren, sie bringen ihren Glauben und die von ihrem Lehrer disziplinierte sittliche Zucht, sie bringen vor allem eine neue Idee, die
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