Bratt, Berte - Lisbeth 01 - Meine Tochter Liz
dann bist du doch reich – wenn du viel Geld hast“, sagte Lisbeth.
„Was hast du dir denn wünschen wollen?“
Ich folgte der Richtung von Lisbeths Blicken. Dort hinten hing ein rotes Samtkleid.
„Glaubst du, das Kleid ist furchtbar teuer?“
„Ach nein, das glaube ich nicht. Komm, wir wollen mal hineingehen.“
„Ja, wenn du wirklich meinst….“
Das Kleid war teuer. Konnte Lisbeth aber auch wissen, daß sie vor dem vornehmsten Spezialgeschäft für Kinderbekleidung stehengeblieben war?
Aber ihre strahlenden, glücklichen braunen Augen waren das Geld wert. Ich beobachtete Lisbeth. Unsere Blicke begegneten sich im Spiegel. Wir verstanden uns. Wir waren zwei Frauen, die etwas Neues bekommen hatten: Lisbeth ein neues Kleid und ich einen neuen Hut. Wir nickten einander im Spiegel zu.
„Nun, Lisbeth? Gefällt dir das Kleid?“
Plötzlich hörte ich eine fremde Stimme sagen:
„Das Kleid paßt Ihrer Tochter, gnädige Frau, als wäre es für sie nach Maß gearbeitet.“
Lisbeth merkte wohl nichts. Und ich hütete mich, die Verkäuferin über ihren Irrtum aufzuklären.
Als wir dann das Geschäft mit dem Kleiderkarton, den Lisbeth durchaus selber hatte tragen wollen, verlassen hatten, umschloß ich ihre Hand fest mit der meinen, und einen kurzen Augenblick hatte ich das Gefühl, als besäße ich eine leibhafte Tochter, für die ich eine große und beglückende Verantwortung trüge.
Dann gingen wir in eine Eiskonditorei. Lisbeth erzählte mir, sie habe schon Eis gegessen. „Solches vom Milchgeschäft, weißt du, in kleinen Kekstüten.“ Aber „solches gelbes Eis mit Eingemachtem darunter und Beeren obendrauf“ hatte sie noch nie gegessen.
Schließlich nahmen wir ein Taxi und fuhren zu mir nach Hause. Ich hatte nur den einen Wunsch: daß dieser Tag für Lisbeth ein richtiger Festtag würde, ein Geburtstag, an den sie noch lange denken sollte.
Lisbeth machte einen untadeligen Knicks vor Erna, die ihr den roten Regenmantel abnahm, und als wir in mein Wohnzimmer getreten waren, reichte sie mir die Hand und sagte, während sie die meine so fest drückte, wie es ihre Gewohnheit war:
„Vielen, vielen Dank, Steffi, für alles. Für den Kuchen und die Kochplatte und das Kleid und das Eis. Und daß ich Auto fahren durfte.“
Ich hatte eigentlich ein ganz klein wenig mehr erwartet. Ich hätte mich so gefreut, wenn sie mir nur einen kurzen Augenblick ihre kleinen Arme um den Hals gelegt hätte. Als ich klein war, hielt ich es für die natürlichste Sache von der Welt, daß ich Menschen, die lieb zu mir gewesen waren, an den Hals flog.
Aber Lisbeth war dergleichen nicht gewohnt.
Eigentlich etwas sonderbar. Wo sie und ihr Vater doch so aneinander hingen! Daß sie da nicht etwas mehr aus sich herausging! Etwas unmittelbarer, etwas zärtlicher war! Ein merkwürdiges Kind!
Aber Lisbeth gab mir noch mehr Rätsel auf.
Sie verschwand fast in Vaters großem Lehnstuhl. Sie saß ganz still da und sah sich aufmerksam um. Ich fühlte mich in dieser neuen Lage etwas unsicher. Wir konnten Georg frühestens in ein paar Stunden erwarten.
Womit pflegt man Kinder zu unterhalten? Kleine Kinder, die noch nicht lesen konnten? Das ist im Grunde ein Problem. Ein Problem, das die meisten Erwachsenen auf eine sehr törichte; Weise zu lösen suchen, indem sie eine Menge gleichgültiger und aufdringlicher Fragen stellen. „Wie alt bis du?“ – „In welche Klasse gehst du?“ – „Kommst du in der Schule gut mit?“ – Schließlich ist die Schule ja ein schier unerschöpfliches Stoffgebiet – aber Lisbeth ging noch nicht zur Schule! Also nicht einmal dieser Gesprächsgegenstand konnte mir aus der Verlegenheit helfen.
Natürlich gab es eine ganze Menge Dinge, über die ich gern etwas gewußt hätte. Aber ich wollte nicht zudringlich sein – auch nicht einem kleinen Mädchen gegenüber, das aus seinem Matrosenkleidchen herausgewachsen war. Lisbeths kluge, wachsame Augen warnten mich. Ich fühlte, daß sie eine Taktlosigkeit begreifen und mißbilligen würde.
Da kam mir ein Gedanke.
„Hast du Lust, Bilder anzusehen, Lisbeth? Ich habe eine Menge drolliger Fotos aus der Zeit, da ich noch klein war.“
„Ja, gern“, sagte Lisbeth höflich.
Ich suchte meine alten Alben hervor und setzte mich auf die Lehne von Lisbeths Stuhl. Sie betrachtete jedes Bild sehr eingehend. Und ich erzählte.
„Dies ist eine Aufnahme aus Paris“, erklärte ich. „Hast du schon etwas von Paris gehört?“
Nein, von Paris hatte Lisbeth noch
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