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Bratt, Berte - Lisbeth 01 - Meine Tochter Liz

Bratt, Berte - Lisbeth 01 - Meine Tochter Liz

Titel: Bratt, Berte - Lisbeth 01 - Meine Tochter Liz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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nie etwas gehört.
    Da begann ich zu erzählen, und sie hörte interessiert zu. Manchmal stellte sie eine Frage und veranlaßte mich so, noch mehr zu erzählen. Schließlich mußte ich eine Karte von Europa holen und ihr zeigen, wo alle diese Städte lagen, in denen ich gewesen war. Vielleicht sprach ich zu erwachsen, vielleicht war vieles von dem, was ich sagte, für sie zu schwer zu verstehen. Aber mit der Zeit habe ich die Erfahrung gemacht, daß es gar nichts schadet, wenn man etwas sagt, was für ein Kind etwas schwer zu verstehen ist. Denn ist das Kind begabt, so bemüht es sich zu folgen und fühlt sich im Grunde geschmeichelt, weil man sein Fassungsvermögen überschätzt. Nur eins verträgt es nicht: daß man es unterschätzt.
    Es zeigte sich, daß Lisbeth die Buchstaben kannte. „Ich habe sie von Vater gelernt“, sagte sie. Es machte uns beiden riesigen Spaß, die Namen der Städte auf der Karte zu buchstabieren und dann wieder die zugehörigen Bilder zu betrachten. Besonders von einem Foto kam Lisbeth gar nicht los. Es war die Aufnahme aus dem Bois de Boulogne zu Paris mit dem Ponywagen der Tochter des Gesandtschaftsrats und mir als Gast. Ich war damals acht Jahre alt gewesen.
    „Und das Pony gehörte wirklich dem kleinen Mädchen?“
    „Ja, denk dir nur: es gehörte wirklich diesem kleinen Mädchen!“
    „Und der Wagen auch?“
    „Ja. Sie hatte das Pony und den Wagen zum Geburtstag bekommen.“
    „Du – die müssen aber reich gewesen sein. Ich meine: der Vater und die Mutter des kleinen Mädchens.“
    „O ja. Die waren reich.“
    Lisbeth sagte nichts weiter. Sie wurde gleichsam noch winziger in ihrem abgetragenen Matrosenkleidchen.
    Ich blätterte weiter und zeigte ihr die Aufnahme vom Gebirge, von den Sommerferien, die ich in den norwegischen Bergen verlebt hatte, und tatsächlich fand sich darunter auch ein Bild von jenem Sommer im Gudbrandstale.
    „Sieh dir dieses Bild einmal genau an, Lisbeth! Vielleicht entdeckst du darauf jemand, den du kennst?“
    Sie suchte lange. Plötzlich aber ging ein Aufleuchten über ihr Gesicht.
    „Das ist Vater! Stimmt es nicht, Steffi?“
    „Natürlich stimmt es!“
    Ihre Augen strahlten. Vergessen waren Pony und Ponywagen. Jetzt wollte sie alles mögliche über jenen Sommer bei Großonkel Sigurd im Gudbrandstale wissen, und da hörte ich Lisbeth zum ersten Male lachen. Es war ein jubelndes, melodisches Lachen, das immer aufs neue aus ihrer Kehle hervorbrach, während ich ihr von Kusine Nette erzählte, die ihren neuen Strohhut mit Erde gefüllt und Blumen darin gepflanzt, oder von Vetter Johann, der mir einen lebendigen Igel ins Bett gelegt hatte. Wir vergaßen beide Zeit und Stunde, Lisbeth und ich, und kehrten erst in die Gegenwart zurück, als Erna hereinkam, um den Tisch zu decken. Da ging ich mit Lisbeth ins Badezimmer. Ich war nicht im geringsten überrascht, als ich sah, wie selbständig sie war. Ohne erst lange zu fragen, sah sie sich um und fand schnell, was sie brauchte. Als sie sich die Hände gewaschen und das Haar gekämmt hatte, wollte sie gern das neue Kleid anziehen. Sie holte eine Schere, schnitt den Bindfaden durch, mit dem der Karton verschnürt war, nahm vorsichtig den Inhalt heraus, legte das alte Kleid sauber zusammen, tat es in den Karton und zog sich das neue an.
    Weder beim Zuknöpfen noch bei dem Reißverschluß brauchte ich ihr zu helfen. Das Reißverschluß entlockte ihr einen Jubelruf:
    „Sieh, Steffi! Er ist rot! Genau wie das Kleid!“
    Als sie schließlich fertig angezogen, frisch gewaschen und gekämmt vor mir stand, mußte ich mich mächtig zusammennehmen, daß ich sie nicht in meine Arme schloß. Aber, wie gesagt, Lisbeth war nicht so; bei ihr ging so etwas nicht.
    Endlich kam Georg, bleich, still und verschlossen. Er bedankte sich stockend und etwas verwirrt für Lisbeths Kleid. Aber nach und nach taute er auf. Und als die erste Portion Fleischklöße verzehrt war, gelang es mir wirklich, ihn mit der Erinnerung an dieses oder jenes kleine Erlebnis des Sommers vor zehn Jahren zum Lachen zu bringen.
    Lisbeth wurden nach dem Essen die Augen schwer, und sie sträubte sich nicht, als ich sie einlud, sich etwas hinzulegen. Sie verschwand fast ganz in meinem breiten französischen Bett.
    Georg und ich tranken Kaffee. Als er ein paar Gläser Cognac getrunken hatte, bekamen seine Wangen Farbe. Er wurde mitteilsamer. Er sprach von Lisbeth. Nur von Lisbeth. Er erzählte Episoden aus ihrem täglichen Leben, sprach von ihrer

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