Bratt, Berte - Lisbeth 01 - Meine Tochter Liz
sich in meine schob und sie drückte.
„Da habe ich es doch viel besser“, sagte Lisbeth. „Denn Vater und ich, wir sind doch zwei. Und du bist bloß einer.“
Georg blickte unverwandt auf seine Tochter. Wie er das Kind liebte! Seine ganze Liebe leuchtete ihm aus den Augen.
Aber jetzt sah er auf die Uhr.
„Wir müssen nun wohl gehen, Lisbeth“, sagte er. Dann wandte er sich an mich und fügte erklärend hinzu:
„Ich habe mich für eine Vormittagstunde frei gemacht, weil Lisbeth heute Geburtstag hat….“
„Aber Lisbeth!“ rief ich. „Du hast Geburtstag? Meinen herzlichsten Glückwunsch! Weißt du was, Georg? Wenn du ins Geschäft mußt, dann könntest du mir doch Lisbeth für eine Weile leihen. Wir machen dann einen kleinen Bummel zusammen und kaufen ein Geburtstagsgeschenk.“
Georg schien nicht recht zu wissen, was er antworten sollte.
„Das ist sehr lieb von dir, Steffi – aber du sollst nicht – “
„Sage doch ja, Georg! Es würde mir eine solche Freude machen! Und ich habe heute eigentlich gar nichts zu tun. Ich liefere Lisbeth selbstverständlich selber zu Hause wieder ab. Ich werde mir die Adresse aufschreiben.“
„Das ist nicht nötig. Die Adresse kann dir Lisbeth sagen, wenn du sie vergessen solltest. Aber die Sache ist nicht so einfach, wie du denkst. Ich komme erst gegen sechs Uhr nach Hause – “
„Aber das ist ja ausgezeichnet! Da haben Lisbeth und ich einen schönen langen Tag vor uns – übrigens, weißt du was? Du könntest doch von dem Geschäft gleich zu mir kommen – wir essen dann zusammen und plaudern von alten Zeiten – bitte, Georg, sage ja!“
Nach einigem Zögern willigte er ein. Als ich ihm meine Adresse gegeben hatte, reichte er uns die Hand – erst mir, dann Lisbeth.
„Vielen Dank, Vater, für die Limonade und den Kuchen!“
Es klang so merkwürdig erwachsen in dem kleinen Munde.
Ich bestellte für Lisbeth ein Stück Ananastorte, als Georg gegangen war. Man merkte es ihr an, wie gut es ihr schmeckte. Offenbar bekam sie nur selten „etwas Gutes“.
„Was hast du denn heute zum Geburtstag bekommen, Lisbeth?“
Ich bereute meine Frage schon, als ich sie kaum geäußert hatte. Vielleicht hatte sie gar nichts Besonderes bekommen.
„Dies hier“, sagte Lisbeth, indem sie die häßliche Zelluloidspange leicht mit der Hand berührte. „Und dann einen Regenmantel und eine Kappe. Dort hängen sie!“
Ein kleiner roter Regenmantel und eine rote Kappe hingen an einem Kleiderhaken neben der Tür. Ich mußte unwillkürlich lächeln. Es war leicht zu merken, daß der Regenmantel neu war, da sie ihn bei so strahlendem Sonnenschein trug.
„Ein feines Geschenk, Lisbeth!“ sagte ich. Ich wartete einen Augenblick, weil ich dachte, sie würde vielleicht noch mehr erzählen. Aber es war offenbar von keinen weiteren Geschenken zu berichten.
Mit Blitzesschnelle zogen Bilder von meinem siebenten Geburtstag an mir vorüber. Ich erinnerte mich an diesen Tag ganz genau, weil ich an ihm mein erstes Fahrrad bekommen hatte. Wir wohnten damals in Helsinki. So kam es, daß zwanzig finnisch sprechende Kinder unseren Speisesaal mit ihrem munteren Geplauder erfüllten, Schokolade tranken und in die Riesentorte, auf der sieben Lichter brannten, gewaltige Lücken rissen. Und ich hatte unendlich viele Geschenke bekommen. Vater war sehr beliebt gewesen. Daher hatten alle möglichen Menschen dem kleinen mutterlosen Mädchen eine Freundlichkeit erweisen wollen, und jeder meiner zwanzig kleinen Gäste hatte mir eine große Tafel Schokolade mitgebracht.
Lisbeths Geburtstag dagegen wurde am Vormittag in aller Eile bei einem Glase Limonade und zwei Stück Kuchen gefeiert. Und ihre Geschenke bestanden aus einem roten Regenmantel mit Kappe und einer Zelluloidspange. Und wie glücklich war sie darüber!
„Was wünscht du dir von mir, Lisbeth?“
Lisbeth antwortete nicht sofort. Sie dachte nach. Es war gewiß etwas Neues für sie, daß sie sich etwas wünschen durfte und begründete Hoffnung hatte, ihr Wunsch würde auch erfüllt werden.
„Nun, Lisbeth? Soll ich dir helfen? Du mußt doch wissen, was du gern haben möchtest.“
Lisbeth krauste die kleine Stirn.
„Weißt du“, erklärte sie schließlich mit ernster Miene, „wir wünschen uns eine solche Masse, daß wir wirklich nicht wissen, was wir am liebsten haben möchten.“
Da war es wieder! „Wir“, sagte Lisbeth. Georg hatte auch immer „wir“ gesagt. Die Einzahl existierte für Lisbeth und ihren Vater nicht. Sie
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