Brennende Fesseln
sehen, Franny. Sag mir, was los ist.«
»Ich habe nicht viel Erfahrung in solchen Dingen«, sagte sie.
Er lächelte sie an. »Das ist mir durchaus bewußt.«
Er zog ihr den Pulli über den Kopf, und sie hatte das Gefühl, sich entschuldigen zu müssen. »Ich weiß, daß ich ein paar Pfund abnehmen muß«, sagte sie.
Michael lachte sanft. Er küßte sie auf den Hals und flüsterte: »Ich werde dir geben, was du willst, Franny.« Und sie fragte sich, was das war. Was wollte sie überhaupt? Dann zog er sie ganz aus, massierte ihren üppigen Körper, knetete ihn wie Brotteig, sanft und warm. Zuerst war ihr das peinlich – er wollte nicht zulassen, daß sie sich unter der Decke versteckte –, aber dann verlor sie sich unter der Berührung seiner geschickten Hände. Ihre Figur schien ihm tatsächlich nichts auszumachen. Er drehte sie hierhin und dorthin, arrangierte ihre Arme und Beine, als wäre sie eine Schaufensterpuppe, saugte und zog an ihren schweren Brüsten, steckte seine Finger in jede ihrer Körperöffnungen, experimentierte und massierte an ihr herum, bis sie tief in sich etwas spürte wie die Anziehungskraft der Natur, die sie nachmittags am Putah Creek gespürt hatte, nur daß das hier stärker war, dringender, und er zwang sie, sich ihm zu öffnen, tauchte seine Zunge tief in sie hinein, saugte an ihr, bis sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben dem urzeitlichen Drängen in ihrem Inneren ergab. Es war ein wundersames Gefühl der Erleichterung, beängstigend und grandios zugleich. Und irgendwann, an einem Punkt jenseits
der Sprache, erfaßte sie plötzlich, was sie wirklich wollte: jemanden, zu dem sie gehörte, einen Freund, einen Vater, einen Geliebten.
2
Sue Deever, die unter Altersdiabetes litt, saß auf einem malvenfarben gepolsterten Ruhesessel neben einer Dialysemaschine und wartete darauf, von Franny angeschlossen zu werden. Sie war eine rundliche Frau Anfang Fünfzig, der beide Beine amputiert worden waren. Franny arbeitete seit zwei Jahren an der Dialyseklinik der Uni, und sie hatte den langsamen Verfall von Mrs. Deever miterlebt. Sie war die Mutter einer Jugendfreundin von Franny. Als Franny die Arbeit in der Klinik antrat, hatte sie Mrs. Deever jahrelang nicht gesehen gehabt und war über ihr Aussehen sehr erschrocken. Mrs. Deevers rechtes Bein war vier Jahre zuvor amputiert worden, das linke folgte, kurz nachdem Franny in der Klinik anfing. Sie konnte nur noch verschwommen sehen, ihre Nerven waren geschädigt, ihre Leber funktionierte nach vielen Jahren exzessiven Alkoholkonsums nicht mehr richtig. Dasselbe galt für ihre Nieren, weshalb sie regelmäßig zur Dialyse mußte. Sie lebte in einem Pflegeheim in Davis und kam dreimal die Woche zur Behandlung in die Klinik. Sie war eine liebe Frau, und es machte Franny traurig, sie in diesem Zustand zu sehen.
Die Klinik befand sich in Sacramento, in einem medizinischen Komplex an der Ecke Alhambra und Stockton. Das Wartezimmer hatte große Ähnlichkeit mit jedem anderen Arztwartezimmer: eine Reihe niedriger Stühle und ein kleiner Tisch mit einem Fächer aus Zeitschriften. Aber um das Wartezimmer zu verlassen, mußten die Patienten durch eine Tür gehen, die ihnen jeweils mit einem Summton geöffnet wurde. Ein enger Gang und eine weitere Tür führten in das Vorzimmer
– mehrere Stühle, ein Waschbecken, eine rollstuhlgerecht in den Boden eingelassene Waage –, von wo aus man schließlich in den Hauptbehandlungsraum gelangte, einen großen Saal, der in einem weichen, beruhigenden Pastellton gestrichen war. In der Mitte des mit Linoleum ausgelegten Raumes befanden sich zwei Überwachungsstationen, und entlang der Wände standen achtzehn große Ruhesessel, die wie bequeme Liegestühle aussahen. Neben jedem Stuhl war eine Dialyseeinheit installiert. Es war früh am Morgen, und das Personal hatte alle Hände voll zu tun. Sämtliche Stühle waren besetzt, einige Leute waren schon an ihre künstlichen Nieren angeschlossen, andere warteten noch darauf. Die meisten Patienten waren alt und ausgemergelt. Ihre Organe waren so weit geschädigt, daß eine Heilung nicht mehr möglich war. Für die Arbeit am Patienten waren hauptsächlich Techniker zuständig, aber heute war jemand ausgefallen, und Franny mußte drei Patienten übernehmen, darunter auch Mrs. Deever.
Mrs. Deever war bereits gewogen worden, man hatte ihre Temperatur gemessen und ihren Arm mit einem Hautdesinfektionsmittel abgerieben. Franny maß ihren Blutdruck, hörte ihre Lungen und
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