Brennende Kälte
derFünfzigerjahre baumelte von der Decke. Das Zimmer war halbdunkel, seine Augen brauchten eine Weile, um sich an das wenige Licht zu gewöhnen. Dann sah er: Es war leer.
Das nächste Zimmer ist leer, das übernächste auch.
Keller ging von Zimmer zu Zimmer, alle waren leer.
»Ist hier jemand?«
Das vorletzte Zimmer war verschlossen, aber der Schlüssel steckte. Keller schloss auf und trat ein. Ein rauchiger, süßer, metallener Gestank schlug ihm entgegen.
Die beiden Männer lagen nebeneinander ausgestreckt in der hinteren Ecke.
»Grüß Gott..« – Kellers Stimme brach.
Waren sie es? Kein Zweifel. Keller erkannte den einen an dem roten Anorak, den anderen an der grauen groben Hose. Die ganze Statur, kein Zweifel, dort lagen die beiden Männer des Liegenschaftsamtes und rührten sich nicht.
Keller ging zwei Schritte weiter. Blieb abrupt stehen. Seine Augen sahen in dem Zwielicht nun besser. Die Kleidung der beiden war unversehrt. Doch das Gesicht des einen Mannes war schwarz. Verbrannt. Es sah aus wie ein Stück Schweinehals, der viel zu lange auf dem Feuer gelegen hatte. Der Mund war nur noch ein schwarzes Loch, die Zunge hing heraus, und auch sie war schwarz und glänzend. Auf der Stirn war die Haut geborsten, eine schwarze Brühe floss träge seitwärts und verlor sich hinter seinem Ohr. Die Augen fehlten, nur zwei dunkle Höhlen starrten Keller an.
Auch die Haut des zweiten Mannes war schwarz verbrannt. Den Kopf hatte er zur Seite gewandt. Sein Hals war unterhalb des Ohres aufgebrochen. Eine große Ader war zu sehen, schwarz, zerrissen, als hätte jemand sie zerbissen.
Keller starrte auf das Bild vor seinen Augen. Einen Augenblick konnte er nicht glauben, was er sah. Dann übergab er sich.
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Der Mord im Luftschutzbunker
Der Mord im Luftschutzbunker beherrschte nicht nur die Schlagzeilen der beiden Stuttgarter Tageszeitungen. Die verkohlten Leichen schafften es bis in die Tagesschau, und die Bildzeitung brachte ein Foto auf der ersten Seite.
»Die Polizei steht vor einem Rätsel«, sagte Mario, Denglers alter Freund aus Jugendtagen.
Sie saßen zu dritt auf dem Balkon von Marios Wohnung im fünften Stock eines Hauses in der Mozartstraße. Martin Klein hatte die Augen geschlossen und hörte zu. Mario schenkte seinen beiden Freunden Wein nach, einen Grauen Burgunder aus Bickensohl am Kaiserstuhl, den alle drei gern tranken.
»In der Zeitung steht, dass niemand weiß, wie es dem Täter gelang, die beiden Männer zu verbrennen. Die Polizei hat im Bunker keinerlei Brandspuren gefunden. Der Mörder muss sie irgendwo anders umgebracht haben. Dann hat er ihnen die Kleider wieder angezogen und sie wieder zurück in die Katakomben am Rathausplatz gebracht. Und das alles, ohne dass irgendjemand etwas davon mitgekriegt hat. An einem Samstagmorgen, als der Marktplatz voller Leute war.«
Mario war Künstler. Maler. Er schuf riesige Gemälde, immer abstrakt, expressiv, Orgien in Blau, Gelb und Rot. Hin und wieder verkaufte er ein Bild, immer an denselben Sammler, dessen Identität er jedoch vor seinen Freunden geheim hielt. Zudem betrieb Mario in seinem Wohnzimmer ein Eintischrestaurant. Nur Eingeweihte wussten davon. Neunzig Euro kostete ein Menü, fünf Gänge und Crémant, Weiß- und Rotwein inklusive. Es hatte sich in den Künstlerkreisen der Stadt sehr schnell herumgesprochen, dass man nirgendwo so gut essen konnte wie in Marios Wohnzimmer, und sein Eintischrestaurant wurde gut gebucht.
Dengler kannte Mario von klein auf. Sie waren zusammen aufgewachsen, in Altglashütten, einem Dorf im Süden des Schwarzwaldes. Dengler war schon früh klar, dass Mario später einmal Künstler werden würde. Bereits mit elf Jahren zeichnete er Portraits ihrer Klassenkameraden, die er ihnen für ein Pausenbrot oder eine Tafel Schokolade überließ. Mit dreizehn Jahren interessierte er sich weniger für die pornographischen Schmuddelheftchen, die auf dem Schulhof von Hand zu Hand gingen. Mario gestand ihm vielmehr, dass er vor Botticellis »Geburt der Venus« onanierte und auch vor François Bouchers »Das ruhende Mädchen«. Beide sah er erst Jahrzehnte später im Original, aber seine Mutter freute sich damals, wenn er ihre Kunstbände aus dem Bücherregal nahm und sich damit in seinem Zimmer einschloss.
Später hatten sich die beiden Freunde aus den Augen verloren, aber als Georg nach Stuttgart zog, stellte er fest, dass Mario bereits seit zwei Jahren in der Stadt wohnte. Mario zeigte ihm die hinter der Fassade
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