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Brennende Kälte

Brennende Kälte

Titel: Brennende Kälte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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übernachtete oder doch auf der verbotenen Party feierte.
    Er gab Singers Telefonnummer ein und wartete. Nach zweiMinuten kam die Antwort. Singers Handy war nicht eingeschaltet. Der letzte erfasste Standort war Hamburg in unmittelbarer Nähe des Bundeswehrlazaretts – an dem Tag, als Florian Singer von dort geflohen war.
    Was bedeutete das? Wenn Singer nicht ermordet oder entführt worden war: Warum hatte er seit seiner Flucht das Handy nicht mehr benutzt? Aus Sicherheitsgründen? Weil er sich ein neues besorgt hatte? Oder hatte Singer den Chip des Telefons ersetzt? Dann sah das nicht mehr nach einer spontanen Flucht aus, sondern so, als habe er geplant zu verschwinden. Professionell geplant zu verschwinden.
    Er schickte eine E-Mail an Singers Adresse von einem Account, den er für solche Fälle unter einem anderen Namen unterhielt: »Ich habe Sie neulich gesehen und würde Sie gerne treffen. Bitte antworten Sie mir.« Drei Minuten wartete er auf eine Fehlermeldung. Als keine eintraf, wusste er, dass die Adresse nicht gelöscht war. Immerhin ein Ansatzpunkt.
    Den weiteren Vormittag verbrachte Georg Dengler mit dem Abschlussbericht über eine Versicherungsbetrugssache, an der er seit vier Monaten arbeitete. Kurz nach elf erreichte ihn eine SMS von Olga. Ihr gehe es gut, schrieb sie, in zwei Tagen sei sie wieder zurück. Denglers Stimmung stieg, und als der Drucker die Rechnung an die Versicherungsgesellschaft ausspuckte, war sie perfekt.
    Nicht ausgesorgt, aber für ein paar Monate würde ihn das Geld über Wasser halten.
    Er ging hinunter ins Basta. Der kahlköpfige Kellner saß mit einer Frau an dem großen Tisch vor der Wand, hielt leicht den Kopf geneigt und hörte ihr zu. Martin Klein saß an seinem Stammplatz am Fenster. Dengler setzte sich zu ihm. Kurz danach brachte der Kellner ihm einen doppelten Espresso und stellte ein Kännchen mit warmer Milch daneben. Dengler dankte ihm mit einem Kopfnicken.
    »Bist auch so ein Gewohnheitstier«, brummte Klein vor sich hin und deutete auf Denglers Kaffee. »Nimmst immer das Gleiche.«
    Dengler lachte. Klein hatte recht. Wenn ihm etwas gefiel, blieb er dabei. Er trank gern einen doppelten Espresso, den er mit Milch verdünnte. Und abends trank er gern einen Grauen Burgunder, am liebsten vom Kaiserstuhl, oder, falls er Lust auf Rotwein hatte, einen Brunello. Wenn er es sich richtig überlegte, hatte er ein ganzes System von Vorlieben. In der Markthalle kaufte er zum Beispiel immer den gleichen Käse, einen ...
    In diesem Augenblick klingelte sein Handy. Es war Mario. »Hast du die Zeitungen heute schon gelesen?«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr Mario fort: »Die Brandleichen! Das soll ein terroristischer Anschlag gewesen sein. Vermutet man jedenfalls.«
    »Auf zwei Angestellte des Liegenschaftsamtes?«
    »Ich glaub das ja auch nicht. Ich denke, es war die Regierung.«
    Dengler konnte Mario nicht folgen und schwieg.
    »Überleg doch mal«, sagte Mario, »nur die Regierung konnte die Leichen ungesehen wieder in den Keller bringen, vielleicht durch einen geheimen Gang vom Rathaus aus. Das steht doch direkt am Marktplatz. Sie wollen uns in Panik versetzen, wahrscheinlich planen sie einen neuen Krieg.«
    Mario liebte Verschwörungstheorien. Jede Woche entwarf er eine, verwarf sie gleich wieder, um in der folgenden Woche bereits eine neue, noch abstrusere zu präsentieren. Dengler hatte dafür absolut keinen Sinn.
    »Mario, ich hab keine Zeit. Ich muss los. Muss mir einen Wagen mieten.«
    »Überleg doch mal, Georg, die wollen, dass wir an eine terroristische Verschwörung glauben. In Wirklichkeit waren die das selber.«
    »Mario, ich muss jetzt wirklich ..«
    »Verstehst du den Zusammenhang nicht?«
    »Doch, Mario, aber ich muss einen Leihwagen ..«
    Dengler trennte das Gespräch.
    Manchmal war ihm nicht klar, was ihn mit Mario verband. Dann schien es ihm, als sei sein Freund das genaue Gegenteil von ihm. Er fand Marios Art unerträglich, eine spontane Idee völlig ernsthaft zu verfolgen und sie dann leichtfertig, als habe sie ihm nie etwas gegolten, wieder zu verwerfen. Das Leichte, Unbewusste und manchmal auch das Dunkle an Mario irritierte Dengler, seit sie Kinder gewesen waren. Ihm dagegen galt jeder Gedanke etwas. Dengler grübelte oft, und ihm fiel das Denken nicht leicht. Es war eher ein schwerer Weg, ein Weg, den er sich mit einer Machete durch dichtes Unterholz bahnen musste. Und nie wäre er auf die Idee gekommen, die Ergebnisse einer solchen Arbeit einfach zu

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