Brennendes Land
sozusagen basisnah. Die Menschen wechselten beiläufig in den Bereich der politischen Agitation über und verließen ihn ebenso gleitend wieder. Die veraltete Technik stellte eine beruhigende, periphere Medienumgebung her. Die Menschen wurden sich der andauernden Krise gerade in dem Maße bewusst, wie es ihrem Bedürfnis entsprach.
Dank der Lautsprecher hatten das Personal und die sich mit ihnen vermischenden Eindringlinge den gleichen Informationsstand. Zusätzlich wurden an einigen Stellen geschmackvolle blaue ›Seifenkisten‹ aus Plastik aufgestellt, improvisierte Rednertribünen, auf denen besonders närrische oder aufgebrachte Leute ihr Anliegen loswerden konnten. Dies diente nicht nur als Sicherheitsventil und der Sondierung der Stimmung, sondern ließ den zusammengewürfelten Notstandsausschuss zur Abwechslung einmal besonders reif und verantwortungsbewusst dastehen.
Die Medienkampagne diente auch dazu, das Image von Captain (Ex-General, Ex-Corporal) Burningboy aufzupolieren. In Person und über Video wirkte der Proloanführer ausgesprochen verrückt und asozial. Seine Stimme allerdings klang tief und väterlich. Über Lautsprecher strahlte Burningboy die wohlmeinende Jovialität eines brandschatzenden Nikolaus aus.
Es wäre falsch gewesen, hätte man die Moderatoren lediglich als gewalttätige Außenseiter betrachtet. Auf den Straßen Amerikas trieben sich zahllose verzweifelte Menschen herum, die Moderatoren aber waren kein Mob von Wanderarbeitern. Die Moderatoren waren nicht einmal mehr eine ›Bande‹ oder ein ›Stamm‹. Am ehesten konnte man sie als regierungsferne Netzwerkorganisation bezeichnen. Die Moderatoren kleideten sich wie Wilde und redeten auch so, doch es mangelte ihnen nicht an technischem Raffinement. Sie waren nach Gesetzen organisiert, welche denen der herkömmlichen amerikanischen Kultur diametral entgegengesetzt waren.
Die Herren der Konsumgesellschaft hätten sich nie träumen lassen, dass der Verbraucherschutz als politische Philosophie einmal ebenso ernste Instabilitäten zeitigen könnte wie der Kommunismus. Doch die Instabilitäten hatten zugenommen, das Land war auseinandergebrochen. Die Zivilgesellschaft verkümmerte im gnadenlosen Griff des Geldes. Als die letzten öffentlichen Räume privatisiert wurden, fiel der amerikanischen Kultur das Atmen immer schwerer. Die Menschen waren nicht nur pleite, sie wurden auch noch von der Werbung in den Wahnsinn getrieben und von Reklamefritzen, die vor der Privatsphäre nicht haltmachten, gnadenlos ausspioniert. Ein immer aggressiver vorgehender Ausspähapparat bewirkte, dass immer mehr Menschen ihre offizielle Identität einfach aufgaben.
Es machte keinen Spaß mehr, amerikanischer Bürger zu sein. Die Pleiten sprengten alle Rekorde und mündeten in eine Ausstiegsbewegung. Steuerhinterziehung wurde zum Volkssport. Das amerikanische Volk verweigerte sich einfach. Auf öffentlichen Versammlungen wurden Ausweise verbrannt und Geldkarten zerschnitten. Die Menschen lebten fortan auf der Straße. Die Prolos betrachteten sich als die einzigen freien Amerikaner.
Das Nomadendasein war einmal die Basis der menschlichen Existenz gewesen; die Sesshaftigkeit hatte eine zivilisatorische Neuerung dargestellt. Jetzt hatte der Fortschritt das Vorzeichen gewechselt. Die Nomaden waren eine Alternativgesellschaft für Menschen, die mit den alten politischen und ökonomischen Werten einfach nicht mehr zurechtkamen.
Das glaubte zumindest Oscar. Als reicher Bewohner von Neuengland hatte er bislang keinen Grund gehabt, sich mit den Prolos intensiver zu beschäftigen. Nur wenige von ihnen nahmen an den Wahlen teil. Doch er hatte keine Vorurteile gegen die Prolos als gesellschaftliche Gruppe. Sie erschienen ihm nicht fremdartiger als die Wissenschaftler. Mittlerweile war ihm klargeworden, dass die Prolos einen realen Machtfaktor darstellten, und seines Wissens hatte bislang nur ein amerikanischer Politiker versucht, sie für sich zu gewinnen und sie zu stärken. Dieser Politiker war Green Huey.
Nachdem er die Moderatoren befriedet hatte, machte Oscar sich daran, die Wissenschaftler des Labors mit deren Anwesenheit zu versöhnen. Sein Hauptargument war, dass es offenbar keine Alternative gab.
Die Wissenschaftler waren sich der Unterstützung der Regierung immer sicher gewesen; andere Verbündete hatten sie nicht gebraucht. Nun war Schluss mit der Großzügigkeit der Regierung. Das war schlimm, doch die zugrunde liegende Realität war viel, viel
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