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Brennendes Land

Brennendes Land

Titel: Brennendes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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gingen Ruf und Ansehen über alles, denn ansonsten besaßen sie nur wenig. Die militärische Krise unterminierte den eigenartigen Unterbau der Reputationsökonomie der Regulatoren. Gewaltbereite Hitzköpfe erlebten aufgrund ihrer gewagten Attacken gegen die Moderatoren einen jähen Aufstieg.
    Oscars Einschätzung nach waren die Moderatoren ein wesentlich klügerer und leichter zu steuernder Haufen. Ihre Netzwerke waren besser aufgebaut und organisiert; die Moderatoren waren cooler, weniger sichtbar, weit weniger konfrontativ. Gleichwohl war nicht viel nötig, damit sie gewalttätig wurden.
    Am vierten Tage nach dem Absenden des Memorandums erhielt Oscar eine knappe Nachricht vom Präsidenten. Two Feathers teilte ihm in wenigen Zeilen mit, dass er Oscars Memorandum gelesen und verstanden habe. Oscar erhielt Anweisung, mit niemandem über das Thema zu sprechen.
    Achtundvierzig Stunden verstrichen, dann wurde der Skandal öffentlich. Ein Hubschraubergeschwader war des Nachts nach Louisiana eingeflogen und hatte sich in einer obskuren Sumpfsiedlung gesammelt. Zwei Helikopter stießen prompt zusammen und stürzten ab, wobei die Häuser der schlafenden Bewohner zerstört wurden und unschuldige Frauen und Kinder ums Leben kamen. Eine unbestimmte Anzahl Einheimischer war empörenderweise von den entführungsgeilen Unionstruppen verschleppt worden. Vier Unionssoldaten waren bei dem Absturz ums Leben gekommen. Ihre Leichen wurden vor Hueys europäischen Kameras zur Schau gestellt, die schmissigen schwarzen Fliegermonturen kopflastig vor veralteter Cyberausrüstung.
    Diese bizarre Darstellung behielt weitere achtundvierzig Stunden lang Gültigkeit und gab Anlass zu allerlei falschen Schlussfolgerungen. Offiziell reagierte die Regierung nicht. Sie verweigerte einfach jeden Kommentar zu dem Thema, so als wären die demagogischen Ausfälle des Gouverneurs von Louisiana zu lächerlich, um dazu Stellung zu nehmen. Die öffentliche Aufmerksamkeit konzentrierte sich stattdessen auf die US-Navy, deren Atlantikarmada, einhergehend mit einem archaischen Ritual flatternder Sternenbanner, mit Ziel Niederlande in See stach. Die tapfere alte Seestreitmacht schlingerte aus den halb unter Wasser stehenden militärischen Trockendocks aufs Meer hinaus. Alle Augen waren nun auf den Krieg gerichtet – oder jedenfalls hätten sie dies sein sollen.
    Außerhalb Amerikas war es für jedermann, selbst für die stets misstrauischen Chinesen, offensichtlich, dass der Angriff auf die Niederlande eine absurde und lächerliche Geste war. In Europa war dies Thema amüsierter Pamphlete. Allein die Niederländer waren ernsthaft empört.
    In Amerika aber war die Wirkung groß. Das Land befand sich im Krieg. Von der aufmunternden Aussicht, jemand anderem Schaden zuzufügen, aus der abgrundtiefen Lethargie geweckt, hatte der Kongress tatsächlich einen Krieg erklärt. Die Folge war augenblickliche tiefgreifende Einmütigkeit. Aufgrund des Kriegszustands ins Abseits geraten, versprachen die meisten Notstandsausschüsse, sich friedlich aufzulösen. Einige wenige trotzten dem Kongress und dem Präsidenten, ungeachtet des Risikos einer Festnahme. Währenddessen bildeten sich Antikriegsnetzwerke, die auch auf den Straßen demonstrierten. Es missfiel ihnen, dass um eines innenpolitischen Vorteils willen die Verfassung missbraucht und das Land entehrt wurde.
    Weitere angespannte vierundzwanzig Stunden verstrichen. Dann beschuldigte die Administration den Gouverneur von Louisiana, mit illegalen Einwanderern ethisch bedenkliche medizinische Experimente anzustellen. Die Nachricht kam inmitten des allgemeinen Säbelrasselns heraus. Dies stellte eine schockierende Ablenkung dar. Aber der Inhalt war ernst – schlimm, sehr schlimm, unglaublich schlimm. Der Generalstabsarzt und der Gesundheitsminister wurden in die Öffentlichkeit gezerrt und mit grimmigen Blicken, medizinischen Beweisen und erschreckenden Schädeldiagrammen konfrontiert.
    Der PR-Angriff gegen Huey war schlecht, geradezu amateurhaft und stillos durchgeführt. Gleichwohl war er tödlich. Huey hatte schon viele Skandale abgeschmettert, war ihnen ausgewichen, hatte den Schwarzen Peter weitergereicht, die Kritiker zum Schweigen gebracht oder sie zu Falschaussagen angestiftet. Dieser Skandal aber überschritt die Grenzen des Erlaubten. Hier ging es um namenlose, hilflose, entwurzelte Menschen, die man mit industriellen Methoden um den Verstand gebracht hatte. Den meisten Amerikanern ging dies zu nahe. Damit

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