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Brennendes Land

Brennendes Land

Titel: Brennendes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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seinen Ärmeln und Taschen hatte er im Wahlkampfbus zurückgelassen. Für einen Politprofi war es wichtig, hin und wieder zum Tagesgeschäft auf Abstand zu gehen und Ordnung und Perspektive in seine Gedanken und seine Intuition zu bringen. Oscar nahm sich nur selten Zeit für diese lebenswichtigen Momente – sollte er irgendwann einmal hinter Gittern landen, bliebe ihm noch Zeit genug, seine persönliche Philosophie zu entwickeln. Heute aber, in dieser vergessenen Welt des Sandes, des Windes, der Wogen und des kühlen Sonnenscheins, nahm er sich Zeit zum Nachdenken, und er spürte, wie gut es ihm tat.
    Ein inwendiger Druck hatte sich bei ihm aufgebaut. In den vergangenen dreißig Tagen hatte er eine Menge in Erfahrung gebracht, hatte Unmengen ausgedruckter Daten geordnet, um die Angelegenheit zu beschleunigen, ohne dass er bereits eine weiterreichende Perspektive entwickelt hätte. Sein mit Daten vollgestopfter Kopf ähnelte einem Durcheinander von Felsblöcken. Er war nervös, angespannt, abgelenkt und wurde zunehmend gereizt.
    Vielleicht war dies einfach die Durststrecke zwischen zwei Frauen.
    Greta wurde im Laufe des Vormittags erwartet. Negi hatte einen wundervollen Lunch mit verschiedenen Meeresfrüchten für sie vorbereitet. Greta aber verspätete sich. Das Team speiste ausgiebig im Bus, ließ die Korken knallen und hielt die Fassade aufrecht, scherzte sogar über Gretas Nichterscheinen. Als Oscar hinausging, hatte sich seine Stimmung jedoch merklich verdüstert.
    Er ging ins Strandhaus hinüber, um dort auf Greta zu warten, doch die Räume, die zuvor einen zwar etwas anrüchigen, aber doch einnehmenden Eindruck gemacht hatten, wirkten auf einmal nur noch schäbig. Warum machte er sich selbst etwas vor und unternahm solche Anstrengungen, ein Liebesnest zu imitieren? Richtige Liebesnester waren für die Liebenden voll wahrer Bedeutung, voller Dinge, die auf authentischen emotionalen Widerhall trafen. Voller Kleinigkeiten und alberner Andenken etwa, hier eine Feder, dort eine Muschel, ein Strumpfhalter, gerahmte Fotos, ein Ring. Ganz etwas anderes als diese gemieteten Vorhänge, dieses gemietete Bett, diese verräterisch neuen keimfreien Zahnbürsten.
    Er setzte sich aufs quietschende Messingbett und blickte sich im Zimmer um, und auf einmal stellte sich die Welt für ihn auf den Kopf. Er hatte sich darauf eingestellt, charmant und geistreich zu sein, er hatte sich so darauf gefreut, aber sie kam nicht. Sie hatte ihn durchschaut. Sie war zu smart, um zu kommen. Er war allein in diesem kleinen, hässlichen Haus, schmorte im eigenen Saft.
    Eine Stunde verstrich mit quälender Langsamkeit, und er war froh, dass sie nicht gekommen war. Er war froh um seiner selbst willen, denn es war dumm gewesen, sich eine Beziehung mit dieser Frau vorzustellen, aber er war auch froh um ihretwillen. Er war ein Raubtier, ein eiskalter Verführer. Er fühlte sich nicht niedergeschmettert durch ihre Zurückweisung, sah sich aber nun in einem realistischeren Licht. Er war ein Wesen der zitternden Spinnfäden und des funkelnden Chitins. Klug von der grauen Motte, zu Hause zu bleiben.
    Er sah seinen Weg jetzt deutlich vor sich. Er würde nach Washington zurückkehren, den Ausschussbericht verfassen und weiter seine Arbeit tun. An seinen ersten Senatsauftrag würde niemand große Erwartungen richten. Für eine vernichtende Analyse der Laboratoriumszustände war das vorliegende Material mehr als ausreichend. Wenn das nicht drin war, dann konnte er immer noch die positiven Aspekte des Laboratoriums herausstellen: die Auswirkungen der Biotech-Spinoffs auf die regionale Wirtschaft beispielsweise. Er könnte den zukünftigen Glamour des nächsten großen Durchbruchs hinausposaunen: die industrielle Hightech-Nutzung der Neurowissenschaft. Was immer sie hören wollten.
    Er konnte sich in eine Karriereratte verwandeln, in einen Politiktrottel. Diese bildeten einen großen, sich immer weiter vermehrenden Stamm. Er würde immer mehr kostbare Energie auf immer abgehobenere, langweiligere Themen verwenden. Er würde nie wieder einen politischen Wahlkampf organisieren, und er würde sicherlich keine politische Macht aus eigenem Recht erringen, aber wenn er nicht als politischer Wasserträger ausbrannte, würde er schon sein Auskommen finden. Vielleicht würde er ja am Ende mit einem Kabinettsposten belohnt oder mit einer Gastprofessur auf seine alten Tage…
    Er trat ins Freie, denn im Strandhaus hielt er es nicht mehr aus. Die Bustür stand offen,

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