Brennpunkt Nahost
kam endlich der Krankenwagen, der mich zur türkischen Grenze bringen sollte. »Den brauchen wir eigentlich für unsere verletzten Kämpfer«, hatte Dr. Amar ursprünglich entschieden, dann aber doch einen für mich freigegeben, obwohl ich in seinen Augen nur ein leichter Fall war. Der Ostersamstag war aber ein verhältnismäßig ruhiger Tag in Aleppo, also einer mit wenigen Verletzten, mit wenigen Toten. Am Vormittag transportieren mich zwei Pfleger auf einer Trage zum Krankenwagen, vorbei an drei auf der Straße liegenden Toten. In weiße Tücher waren sie gehüllt. Auch sie waren in der Nacht im Krankenhaus ihren Verletzungen erlegen.
Dann – eine Stunde Holperfahrt durch die Schlaglöcher der Verbindungsstraße zur Türkei. Mein Freund und Kollege Martin Durm hielt meine unverletzte linke Hand und versuchte mich zu beruhigen. Wie eine Erlösung sein Satz: »Jetzt haben wir Aleppo hinter uns gelassen.« Schließlich hatte der Krankenwagen die syrisch-türkische Grenzstation bei Killis erreicht. Bab al-Salam heißt sie, Tor des Friedens. Vor einer Woche waren wir hier eingereist in den von den Rebellen kontrollierten Teil Syriens.
DAMASKUS, Assad-Land, SOMMER 2012
Der allererste Gang eines Auslandskorrespondenten in Damaskus führt zu Abeer, egal ob geschossen wird oder nicht, egal ob eine Bombe explodiert ist, egal ob der Heimatsender nach einem live oder einem schnellen Bericht ruft. An Abeer kommt kein Reporter in der syrischen Hauptstadt vorbei. Ohne Abeer geht nichts, mit Abeer geht allerdings auch fast nichts. Abeer ist im syrischen Informationsministerium zuständig für die ausländischen Journalisten, also für die feindliche Presse, so jedenfalls nimmt uns der syrische Geheimdienst wahr.
Hinter einem wuchtigen Schreibtisch aus dunklem Holz sitzt sie. Das Büro groß mit den üblichen Assad-Bildern an Wänden, denen ein paar neue Bahnen Tapete nicht schaden würden. Ein Fernseher läuft mit syrischen Nachrichten: »Die heldenhaften Soldaten vertreiben die von den USA gesteuerten Terroristen.« Von einer syrischen Tragödie ist in diesem Fernsehprogramm nichts zu spüren. Wir sitzen in einer ausgeleierten Couchgarnitur im Stil des arabischen Barocks und sehen sie erwartungsvoll an. Ein paar Floskeln über die Hitze, die Schönheit des Souks sollen den Eispanzer brechen, der sie umgibt. Ist sie einigermaßen erträglich gelaunt, bringt eine verschüchterte Sekretärin Tee für uns, hat Abeer schlechte Laune, was nicht selten vorkommt, bekommt man nichts, was nicht weiter schlimm ist, der Tee ist ohnehin immer unerträglich überzuckert. Für uns gilt: immer freundlich bleiben, und wenn sie fragt, was man von Syrien hält, dann dreimal schlucken und vorsichtig andeuten, dass das Land sicherlich noch eine großartige Zukunft vor sich habe. Lächelt sie zufrieden, ist das die beste Gelegenheit, Dreh- und Interviewwünsche vorzutragen. Sie hört zu, runzelt die Stirn, gleicht in ihrem Kopf unsere Wünsche mit den Vorschriften ihrer Vorgesetzten ab. Dann kommt die Sache mit dem Daumen. Sie ist gewissermaßen der publizistische Daumen des Regimes. Sie hebt oder senkt ihn bei Visa, sie hört sich gelangweilt an, was und wo wir drehen wollen, und wieder entscheidet ihr Daumen oben oder unten über ja oder nein. Erst wer diesen Bittgang erfolgreich hinter sich gebracht hat, kann seine Kamera auspacken und mit der Arbeit anfangen.
Alle fünf Tage wiederholt sich diese Prozedur. Alle fünf Tage muss die Dreherlaubnis erneuert werden. Allerdings, wer glaubt, mit einem Brief von Abeer einen Freifahrtschein für Dreharbeiten in der Tasche zu haben, irrt. Spätestens an der nächsten Straßensperre kann der Kommandant ein Drehverbot erteilen. Keine Dreherlaubnis für diesen Stadtteil, in dem gerade noch gekämpft worden war, keine Dreherlaubnis an dieser Moschee, die Kamera könnte Demonstrationen provozieren, keine Dreherlaubnis an jener Straßenkreuzung, dort stehen zu viele Soldaten. Keine Dreherlaubnis hier, keine dort. Höchstens mal ein Interview. Aber was heißt hier schon Interviews? Die Antworten sind immer dieselben, egal wen man fragt; denn neben der Kamera steht ein Begleiter des Informationsministeriums, der genau zuhört. Es wäre also verwunderlich, wenn jemand Kritik an Assad riskierte. Er müsste jederzeit mit einem Besuch des syrischen Geheimdienstes rechnen. Und der ist nie zimperlich mit Assad-Gegnern umgesprungen. Aus dem Machtbereich der Assads berichten zu müssen ist eine undankbare
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