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Brennpunkt Nahost

Brennpunkt Nahost

Titel: Brennpunkt Nahost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Armbruster
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wehren, wir haben keine Flugabwehrgeschütze. Wir können unsere Bürger nicht warnen. Selbst Blindgänger können wir nicht entschärfen.«
    Dann klettert er mit uns auf ein Hausdach und zeigt uns einen runden Metallbehälter, ungefähr dreißig Zentimeter lang und fünfzehn Zentimeter im Durchmesser.
    »Das ist ein Bomblet aus einer Streubombe, die ein Kampfflugzeug über uns abgeworfen hat.« Solche Streubomben verteilen ihre Bombenlast großflächig im Zielgebiet, in Wohngebieten zum Beispiel. Bis zu dreißig Prozent dieser Minibomben landen als Blindgänger und explodieren erst bei Berührung. Seit Wochen lag dieser kleine, aber mörderische Explosivkörper auf dem Dach, und niemand wagte ihn anzurühren. Aus gutem Grund. Denn diese heimtückischen Waffen können so eingestellt sein, dass sie bei der geringsten Berührung jeden zerreißen.
    «Professionelle Bombenentschärfer gab es weit und breit nicht«, klagt der Stadtsprecher. Besonders Kinder seien gefährdet, die spielen den ganzen Tag im Freien und fassen alles an. »Noch nicht einmal Schulen haben wir, um sie wenigstens für ein paar Stunden von der Straße zu holen.«
    Der engagierte Stadtrat Ahmad Abu Saif wird immer wieder auf der Straße von Bürgern angesprochen:
    »Was sollen wir machen? Wir haben keine Arbeit.« Oder »Seit Wochen haben wir kein Wasser.« Viel versprechen kann er nicht, daher kommt fast immer als Standardantwort:
    »Wenden Sie sich bitte an den entsprechenden Ausschuss. Vielleicht können die was machen.« Die neun Ausschüsse des Stadtrats versuchen die drängendsten Probleme der Bürger von Tel Rifa’at zu lösen, fehlendes Wasser, kaum Elektrizität oder das Krankenhaus, das immerhin mit Geldern aus Kroatien wiederaufgebaut wurde. Die zerstörte Schule wollten die Grünhelme von Rupert Neudeck, eine deutsche Hilfsorganisation, wieder einsatzfähig machen, doch sie mussten die Bauarbeiten im Frühjahr 2013 wieder einstellen. Die ständigen Luftangriffe waren zu gefährlich für die deutschen Freiwilligen. Einige Wochen später wurden sie an einem anderen Einsatzort von Islamisten entführt. Die beiden Deutschen des Teams kamen nach sieben Wochen wieder frei, der dritte Entführte, ein Deutsch-Syrer, erst Anfang September. Nichtsyrische Djihadisten hatten sie als Geiseln genommen. Die Geiseln erzählten nach ihrer Freilassung, zu den Kidnappern gehörten auch deutsch sprechende. Möglicherweise ist sogar eine islamistische Hilfsorganisation aus Deutschland in diese Entführung verstrickt.
    Keinen Einfluss hat der Stadtrat von Tel Rifa’at auf die horrenden Lebensmittelpreise. In den meisten Städten bieten Händler zwar fast alles an, Tomaten, Kartoffeln, Obst, Auberginen oder Zucchini. Alles aber bis zum Fünffachen der früheren Preise. Für das gesamte Rebellengebiet müssen immer mehr Lebensmittel aus der Türkei importiert werden, auch weil die syrische Luftwaffe ihre Streubomben über Feldern abwirft, um sie so für die Landwirtschaft unbrauchbar zu machen. Kein Bauer wagt sich mit seinen Traktor auf einen Acker, der mit Bomblets verseucht ist. Wenn er überhaupt bezahlbaren Diesel für seinen Traktor bekäme. Benzin oder Diesel könnten die Bürger literweise in den Straßen kaufen. Händler haben es in Flaschen oder Kanister abgefüllt und bieten es zu horrenden Preisen an. Woher es stammt? Zwischen der Regierungsseite und der Rebellenseite gäbe es einen blühenden Schmuggel, erklärt uns Abu Seif. Die einzige noch arbeitende Raffinerie läge im von Assad kontrollierten Teil Syriens. Dort würden es Händler besorgen, in das Rebellengebiet schmuggeln und hier dann teuer verkaufen. Ein Bombengeschäft.
    Wie in Azaz haben Kämpfer der Freien Syrischen Armee im Sommer 2012 auch in Tel Rifa’at die Truppen Assads zum Rückzug gezwungen. Ruhe hat diese Eroberung der kleinen Stadt aber ebenfalls nicht gebracht. Bombardierungen aus der Luft, Raketenbeschuss, einschlagende Granaten, all das gehört hier schon fast zum Alltag der Menschen. Ebenso wie fast jeden Tag Kriegstote. Ganze Straßenzüge sind zerstört. Kein Wunder, dass ein großer Teil der Einwohner in die nahe Türkei geflohen ist. Fast zwei Drittel sollen es sein. Viele der Menschen, die im Augenblick in Tel Rifa’at leben, kennt Abu Saif gar nicht, weil sie sich als Flüchtlinge aus dem umkämpften Aleppo gerettet hatten oder aus Dörfern nahe der Frontlinie, die sich jeden Tag verschiebt. Ständig kommen neue Flüchtlinge, oder Familien kehren in ihre

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