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Bretonische Brandung

Bretonische Brandung

Titel: Bretonische Brandung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Luc Bannalec
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hier aussteigen? «
    Sie waren für Dupins Empfinden noch sehr deutlich auf dem Meer.
    »Das Wasser ist nicht mehr tief, vielleicht einen halben Meter.«
    Inspektor Riwal hatte sich hingekniet und begonnen, seine Schuhe auszuziehen.
    »Aber wir haben doch ein Beiboot.«
    Dupin hatte es ehrlich gesagt gerade erst bemerkt. Mit Erleichterung.
    »Das lohnt sich nicht, Monsieur le Commissaire. Viel näher kämen wir damit auch nicht an den Strand heran.«
    Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte Dupin über die Reling. Es schien ihm erheblich mehr als ein halber Meter bis zum Grund zu sein. Das Wasser war unfassbar klar. Jede Muschel, jedes Steinchen war zu sehen. Ein Schwarm winziger hellgrüner Fische huschte vorbei. Sie lagen vor der Nordseite von Le Loc’h. Nichts als blendend weißer Sand, türkisfarbenes flaches Wasser, das Meer lag vollkommen still in der Kammer. Dazu noch ein paar Kokospalmen – wohl die einzige Palmenart, so kam es Dupin vor, die in der Bretagne nicht wuchs –, und durch nichts wäre dieses Bild von der Karibik zu unterscheiden gewesen. Niemand wäre je auf die Idee gekommen, diese Landschaft mit der Bretagne in Verbindung zu bringen. Auf Hunderten von Postkarten war der Anblick zu bestaunen, sie übertrieben tatsächlich kein bisschen.
    Riwal hatte inzwischen auch seine Socken ausgezogen. Die Besatzungsmitglieder des Bootes hatten den Anker gesetzt, waren ohne das geringste Zögern geschickt ins Meer gesprungen und nun dabei, das Boot zu drehen, sodass das Heck mit der sich nur knapp über dem Wasser befindlichen Holzstufe Richtung Strand ausgerichtet war. Riwal, in einer hellen Stoffhose, sprang ins Wasser, als gäbe es nichts Selbstverständlicheres auf der Welt. Direkt nach ihm der schlaksige Kapitän.
    Dupin zögerte. Es war eine absurde Szene, fand er. Die jungen Polizisten, Riwal und der Kapitän waren stehen geblieben und warteten. Es sah aus, als würden sie Spalier stehen. Alle Augen waren auf ihn gerichtet.
    Dupin sprang. Er hatte die Schuhe nicht ausgezogen. Augenblicklich stand er bis knapp über den Knien im Atlantik, der jetzt, Anfang Mai, höchstens vierzehn Grad hatte. Mit Argusaugen fixierte er den Meeresboden. Der Schwarm der winzigen hellgrünen Fische, der nun viel größer war als zuvor, kam neugierig heran und schwamm furchtlos um seine Beine herum. Dupin vollführte eine halbe Drehung, um den Fischen mit dem Blick zu folgen – da sah er ihn: einen stattlichen Krebs, zwanzig, dreißig Zentimeter, in Angriffshaltung, der ihn direkt anstarrte, einen echten »Tourteau«, wie man ihn gern aß hier an der Küste – wie auch Dupin ihn gern aß. Er unterdrückte beides: einen kleinen Ausruf des Schreckens sowie der kulinarischen Begeisterung. Er sah hoch und realisierte, dass alle immer noch bewegungslos standen und ihm zuschauten. Dupin richtete den Oberkörper entschieden auf und begann Richtung Strand zu waten, sorgfältig darauf bedacht, weder Riwals noch die Blicke der drei Polizisten zu streifen. Die Kollegen überholten ihn im Wasser rasch rechts und links.
    Dupin erreichte den Strand als Letzter.
    Der leblose Körper lag auf dem Bauch, ein wenig seitlich, die Schulter in unnatürlicher Weise unter dem Körper abgeklemmt, es sah aus, als hätte er seinen rechten Arm verloren. Der linke Arm, der gebrochen sein musste, war stark angewinkelt. Der Kopf lag fast genau auf der Stirn, als hätte ihn jemand absichtlich so hingelegt. Das Gesicht war nicht zu sehen. Die blaue Jacke und der Pullover waren weitgehend zerfetzt, man sah die fürchterlichen großflächigen und tiefen Wunden am Rücken und am Hals, am Hinterkopf und am linken Arm. Der Unterkörper schien dagegen fast unversehrt. An einigen Stellen war er von Algen bedeckt. Die festen Segelschuhe, beide noch an den Füßen, wirkten neu. Das Alter des Mannes war in dieser Lage schwer zu schätzen, vielleicht etwas älter als er selbst, vermutete Dupin. Ende vierzig, Anfang fünfzig. Der Tote war nicht sehr groß. Dupin hatte sich neben ihn gekniet, um ihn genauer zu betrachten. Das Meer hatte ihn weit oben an den Strand getragen, ein paar Meter vor die Linie, wo der langsam ansteigende weiße Sand endete und die grellgrüne Vegetation begann.
    »Dahinten liegen die beiden anderen, ziemlich nah beieinander. Sie sind in einem ähnlichen Zustand.«
    Riwal deutete den Strand entlang. Dupin sah die jungen Kollegen der Wasserschutzpolizei neben etwas Massigem stehen, sicher hundert Meter entfernt. Dupin hatte gar nicht

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