Bretonische Verhältnisse
beginnen.«
»Ich möchte, dass nur noch Gäste und Personal das Hotel betreten und verlassen können. Jemand soll den Eingangsbereich regeln. Nicht Sie. Jemand von der örtlichen Polizei. Sie sagten, eine Angestellte hat Pennec gefunden?«
»Ja, Francine Lajoux. Sie ist schon über vierzig Jahre hier. Sie sitzt oben im Frühstücksraum, ein Zimmermädchen ist bei ihr. Sie steht unter Schock. Wir haben einen Arzt gerufen.«
»Ich will mit ihr sprechen.« Dupin zögerte kurz, ganz unbestimmt, und holte sein Notizheft heraus.
»Es ist jetzt 9 Uhr 05. Um 7 Uhr 47 hat Kadeg angerufen. Da war er gerade informiert worden von den Kollegen in Pont Aven. Die hatten einen Anruf von hier aus dem Hotel bekommen. Madame Lajoux wird Pierre-Louis Pennec gegen 7 Uhr 30 gefunden haben. Das ist nicht einmal zwei Stunden her. Bisher wissen wir gar nichts.«
Riwal konnte sich nicht vorstellen, dass der Kommissar dies so notierte, auch wenn allgemein bekannt war, dass Dupin eine, wie sollte man sagen – sehr eigenwillige Art des Sich-Notizen-Machens hatte.
»Pierre-Louis Pennec hat einen Sohn, Loic. Es gibt auch einen Bruder, einen Halbbruder. Er lebt in Toulon. Die Angehörigen sollten bald benachrichtigt werden, Monsieur le Commissaire.«
»Ein Sohn? Wo lebt er?«
»Hier in Pont Aven, unten am Hafen, mit seiner Frau Catherine. Keine Kinder.«
»Ich gehe sofort zu ihm. Aber davor werde ich mit Madame Lajoux sprechen.«
Riwal wusste, dass es keinen Sinn machte, zu widersprechen; er kannte den Kommissar, wenn er in einem »echten Fall« war. Und das hier war ein echter Fall.
»Ich besorge Ihnen die genaue Adresse von Loic Pennec. Und die Rufnummer von seinem Halbbruder. Er ist ein bekannter Politiker im Süden, André Pennec, seit zwei Jahrzehnten im Parlament für die Konservativen.«
»Ist er zurzeit hier? Ich meine, hier in der Region?«
»Nein. Nicht soweit wir wissen.«
»Gut. Ich rufe ihn später an. Sonst keine Familie?«
»Nein.«
»Lassen Sie sich von Reglas alles erzählen, wenn er fertig ist. Und Lafond soll mich anrufen. Auch wenn er sagt, dass er sich zu nichts äußern wird vor Abschluss seines Berichts.«
»Gut.«
»Und ich will Dercap sprechen. Jemand soll sofort versuchen, ihn zu erreichen.«
Dercap kannte Pont Aven sicher in- und auswendig. Sein Wissen wäre hilfreich. Und eigentlich war es ja auch sein Fall.
»Ich glaube, Bonnec ist schon dabei.«
»Was macht der Sohn? Arbeitet er auch im Hotel?«
»Nein, wohl nicht. Kadeg wusste nur, dass er eine kleine Firma hat.«
»Was für eine Firma?«
»Honig.«
»Honig?«
»Ja, miel de mer . Die Bienenstöcke dürfen höchstens fünfundzwanzig Meter vom Meer entfernt stehen. Der beste Honig der Welt, sagt …«
»Gut. Was Priorität hat, Riwal: Ich will wissen, was Monsieur Pennec in den letzten Tagen und Wochen gemacht hat, so genau es geht. Tag für Tag. Ich möchte, dass alles genauestens festgehalten wird. Alles, auch das Alltägliche. Seine Rituale, seine Gewohnheiten.«
Einer der Gäste an der Rezeption wurde plötzlich laut.
»Wir werden unser gesamtes Geld zurückerhalten. Wir werden das nicht hinnehmen.« Ein unangenehmer Wicht, untersetzt, schmierig. Seine Frau schaute ihn ergeben an.
»Wir werden jetzt auf der Stelle abreisen – genau das werden wir tun.«
»Ich denke, Sie werden jetzt nicht abreisen, Monsieur. Niemand wird abreisen.«
Wutschnaubend drehte sich der Mann zu Dupin um. Im nächsten Moment würde er losbrüllen.
»Commissaire Dupin. Commissariat de Police Concarneau. Sie werden sich wie alle Gäste zunächst einer polizeilichen Befragung unterziehen.«
Dupin hatte seinen Satz sehr leise gesprochen. Zischend. Dies und sein imposanter Körperbau taten ihre Wirkung. Umgehend trat der kleine Mann einige Schritte zurück.
»Inspektor Riwal«, Dupin sprach jetzt laut und formal, »die Polizisten werden Monsieur«, er stoppte und blickte den Mann auffordernd an, der kleinlaut »Galvani« stammelte, »die Polizisten werden Monsieur Galvani und seine Frau zu letzter Nacht befragen. Eingehend. Die Personalien aufnehmen, eine Identifikation vornehmen.«
Dupin war hochgewachsen, kräftig, massig, mit Schultern, die einen mächtigen Schatten warfen. Er machte einen, sagten böse Zungen, eher grobschlächtigen Eindruck; so rechnete auch niemand mit der geschickten Schnelligkeit und feinen Präzision, zu der er ansatzlos fähig war. Sicher, wie ein Kommissar sah er nicht aus, noch weniger in seinen Jeans und Poloshirts, die er fast
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