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Briefe an eine Freundin

Briefe an eine Freundin

Titel: Briefe an eine Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm von Humboldt
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auch wie ich sehr jung war, nicht anders gewesen. Ich habe darum doch sehr viel, Tage und Nächte, mit Büchern gelebt, allein immer mit dem Zweck, irgend etwas Bestimmtes zu lernen, aufzusuchen oder zu erforschen. Dies ab er ist durchaus verschieden von der in einigen Menschen sich bis zur Leidenschaft steigernden Lust, zu lesen. Diese Lust liegt in einer inneren Lebendigkeit, die ich nie so besessen habe, an einem Bedürfnis nach Ideenstoff, das aber freilich zugleich an ein Verlangen geknüpft ist, diesen Stoff von außen in bunter Mannigfaltigkeit zu bekommen, anstatt ihn in größerer Einförmigkeit aus seinem Innern zu schaffen. Indes ist diese Neigung darum nicht zu mißbilligen. Der Mangel an jener Strebsamkeit nach außen hin, das Hängen an einsamem
Sinnen, das Versenken in sich selbst ist auch nicht immer reines Metall ohne Schlacken. Es entspringt oft aus Apathie, aus Hang zum Müßiggange, und ist oft mehr ein waches Träumen als ein fruchtbares Nachdenken. Es führt aber eine Süßigkeit mit sich, die ich sonst mit nichts vergleichen kann, man mag sich nun in Ideen verlieren oder Erinnerungen zurückrufen. Das erste ist leichter und müheloser als im Gespräch und im Schreiben, da man nur für sich denkt, also Mittelsätze überspringen und näher zum Ziel gelangen kann, ja, von niemand gedrängt, es nicht so scharf zu erreichen braucht. Wo aber die Wahrheit auf Gefühlen ruht, da vertrauen sich diese lieber der Verschlossenheit des eigenen Busens an. Darum sind alle religiösen Menschen der Einsamkeit leicht zugetan. Erinnerungen aber kleiden sich in ein so sanftes Dämmerlicht, daß die Zeit, die man in ihnen zum zweitenmal durchlebt, oft dadurch tiefer in die Seele eindringt, als ihr die Unruhe der Gegenwart es zu tun erlaubt, denn die Gegenwart ist immer mit der Zukunft gemischt, und die Erfindung in ihr ist von einer Seite noch dem Wechsel offen. Auch versetzt der Genuß wie der Schmerz in eine Spannung, die der ruhigen Betrachtung des Gegenstandes nicht günstig ist. Wenn nun dies Vergnügen am Nachhängen gewisser Gedanken, die einen gewohnten Reiz über das Gemüt ausüben, der unbestimmten Luft, den Blick in ein Buch zu werfen, gegenübertritt, so bleibt meine
Wahl nicht lange unentschieden, und ich könnte sehr gut lange Zeit ohne alle Bücher zubringen.
    Sie bemerkten, daß man sehr oft fragen hört: was ist Glück? Wenn man unter dem Worte Glück das meint, durch das man im Leben in der letzten tiefsten Empfindung glücklich oder unglücklich ist, nicht bloß darunter einzelne Glücksfälle versteht, so ist es recht schwer, das Glück zu definieren. Denn man kann sehr vielen und großen Kummer haben und sich doch dabei nicht unglücklich fühlen, vielmehr in diesem Kummer eine so erhebende Nahrung des Geistes und des Gemüts finden, daß man diese Empfindung mit keiner anderen vertauschen möchte. Dagegen kann man im Besitz recht vieler Ruhe und Genuß gewährender Dinge sein, gar keinen Kummer haben, und doch eine mit den Begriffen des Glücks ganz unverträgliche Leere in sich empfinden. Notwendig wird also zum Glück eine gehörige Beschäftigung des Geistes oder des Gefühls erfordert, allerdings verschieden nach jedes einzelnen Geistes- oder Empfindungsmaß, aber doch so, daß eines jeden Bedürfnis dadurch erfüllt werde. Die Natur dieser Beschäftigung oder vielmehr dieses inneren Interesses richtet sich aber dann nach der individuellen Bestimmung, die jeder seinem Leben gibt, oder vielmehr, die er schon in sich gelegt findet, und so liegt Glück oder Unglück in dem Gelingen oder Mißlingen des Erreichens
dieser Bestimmung. Ich habe immer gefunden, daß weibliche Gemüter in dies Gefühl lieber und williger eingehen als Männer, und sich auf diese Weise ein stilles Glück in einer freudenlosen, ja oft kummervollen Lage bilden. Auch für das künftige Dasein ist diese Ansicht folgereich. Denn alles Erlangen eines anderen Zustandes kann sich doch nur auf einen bereits erfüllten gründen. Man kann nur erlangen, wozu man reif geworden ist, und es kann in der geistigen und Charakterentwicklung keinen Sprung geben.
     
     
Tegel
, Februar 1834.
     

B erlin hat in diesen Tagen einen Verlust erlitten, den man mit Wahrheit einen gleich großen für die Religion und Philosophie überhaupt nennen kann. Schleiermacher ist nach einem kurzen Krankenlager an einer Lungenentzündung gestorben. Er ist Ihnen gewiß nicht unbekannt als Herausgeber mehrerer religiöser und moralischer Schriften. Indes

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