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Briefe an eine Freundin

Briefe an eine Freundin

Titel: Briefe an eine Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm von Humboldt
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sie doch mit vollem Recht zu den nützlichsten zählen. Sie können nicht ganz von wechselnden Fügungen des Schicksals unabhängig machen. Eine solche wahre Unabhängigkeit kann der Mensch auf Erden niemals erlangen, er muß es schon als einen unendlich großen, ihm von der Vorsehung eingeräumten Vorzug ansehen, daß die Unabhängigkeit, die es ihm gelingen kann sich zu erstreben, in seine Gewalt gegeben ist, ja, daß er allein sie sich zu schaffen imstande ist, da sie eine innerliche ist. Wenn man aber recht frei und kühn auf das Ziel zugeht, den äußeren Einflüssen keine Herrschaft zu gestatten, so gelangt man immer weit und kann nicht allem, aber viel im Leben begegnen. Auch im Alter, kann ich mit Wahrheit sagen, suche ich mir das Leben nicht leicht und bequem zu machen, wenn ich den einzigen Punkt ausnehme, daß ich nicht mehr in Gesellschaft gehe: denn das habe ich ganz aufgegeben, selbst für die wenigen Orte, die ich noch, wenn auch schon selten, im vorigen Winter besuchte.
    Den 4. Januar 1834. Es ist das erstemal, daß ich die neue Jahreszahl schreibe. Ich hätte früher nie geglaubt, daß ich noch soviel schreiben würde, und noch jetzt, wo ich das Leben schon seit Jahren für das, was mich eigentlich daran knüpft, als geendet ansehe, habe ich weder ein äußeres körperliches, noch inneres geistiges Vorgefühl, daß ich nicht noch mehrere neue Jahreszahlen schreiben würde. Das sage ich nicht im mindesten darum bestimmter, weil ich weiß, daß Sie es gern hören, so gern ich Ihnen auch Freude mache, sondern weil ich es wirklich so fühle. Ungeachtet des sonderbaren Winters ist mein eigentliches Befinden, wenn ich es von den hindernden Beschwerden trenne, so, daß es mir zu keiner Klage Anlaß gibt.
    Der Ideenumtausch, von dem Sie in Ihrem Briefe reden, ist wohl sehr hübsch, aber mir ist der Sinn dafür vergangen. Die persönliche Nähe anderer ist mir immer eine Störung meiner Einsamkeit, das heißt jetzt im engsten Sinne meiner selbst. Sie wird mir leicht beunruhigend und kann mir peinigend werden. Ich vermeide daher, soviel ich kann, die Besuche meiner ältesten Freunde und Bekannten, sollte ich auch dadurch lieblos oder unhöflich erscheinen. Es gibt Opfer, die man unrecht hätte zu bringen. Die meisten aber sind diskret und gütig und gönnen mir die Luft des Alleinseins.
    Was Sie mir von Paul Gerhard schreiben, hat mich sehr interessiert, und ich werde die Lieder,
die Sie mir bezeichnen, nochmals nachlesen. Seine Schicksale waren mir im allgemeinen bekannt, aber nicht in so genauer Beziehung auf die Lieder, die doch hier gerade das Wichtigste ist. Ich schließe jetzt meinen Brief mit meinen herzlichen Glückwünschen für das neue Jahr. Möge dasselbe Sie frei von störenden Ereignissen, in Gesundheit und der stillen heiteren Stimmung erhalten, die das Erfreuliche, wo es nicht zu ändern ist, still hinüberträgt. Mit der innigsten Teilnahme der Ihrige. H.
     
     
Tegel
, den 12. Januar 1834.
     

    S ie sagen in Ihrem letzten Brief, daß, wenn man auch gar kein anderes Buch haben dürfte, man mit Bibel und Gesangbuch leben könnte, über die Bibel teile ich ganz Ihre Meinung. Das Gesangbuch würde ich doch nur als eine Zugabe ansehen. Was so alles andere ersetzen soll, muß nicht von einzelnen bekannten, uns nahestehenden Verfassern herrühren, es muß aus fernen Jahrhunderten als die Stimme der ganzen Menschheit, in der sich immer zugleich die Stimme Gottes offenbart, zu uns herüberschallen. Darum könnte, wessen Gemüt kindlich und einfach genug ist, den Sinn früherer Jahrtausende zu fühlen, auch mit dem Homer getrost in die Einsamkeit gehen. Das ist das, was der Mensch nie genug an der Vorsehung bewundern und wofür er nie dankbar genug sein kann, daß sie die wahrhaft göttlichen Gedanken,
die, auf denen unser innerstes Dasein ruht, bald im Geiste ganzer Völker und Zeiten, bald in einzelnen Menschen weckt und durchbrechen läßt. Von mir gestehe ich Ihnen, daß ich sehr leicht ohne alle Bücher leben könnte. Eine eigentliche Neigung zum Lesen habe ich garnicht, auch habe ich für ein langes Leben und so vielfache wissenschaftliche Beschäftigungen nur wenig gelesen. Eine Menge Bücher, die andere sehr früh gelesen, kenne ich nur dem Namen nach, und ich kann von Büchern umringt sein, auch wissen, daß neue darunter sind, ohne in eines hineinzusehen. Diese geringe Anziehungskraft aber haben die Bücher nicht erst spät, gleichsam aus einer Art Überdruß, für mich bekommen, es ist,

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