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Briefe an eine Freundin

Briefe an eine Freundin

Titel: Briefe an eine Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm von Humboldt
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da es Leute waren, von denen sie in keiner Art etwas hatte, noch je etwas hoffen konnte. So irrig in solchen Fällen gewiß auch ihre Meinungen und
Ansichten waren, so ist der doch noch so auffallende Irrtum sichtbare Wahrheit in ihr. Diese Menschen erschienen ihr wirklich so. Sie konnte sogar an sehr uninteressanten Menschen, wenigstens solchen, die es allen übrigen schienen, Gefallen finden. Es gelang ihrem Geist, ihnen irgendeine einzelne anziehende Seite abzugewinnen, und das Gefallen daran trug sich leicht auf die ganze Persönlichkeit über. Was Sie, liebe Charlotte, in Ihrem letzten Briefe über Selbstkenntnis und Selbsttäuschung sagen, hat mich sehr interessiert. Ich gestehe aber, daß ich Ihre Meinung nicht ganz teilen kann. Ich halte die Selbstkenntnis für schwierig und selten, die Selbsttäuschung dagegen für sehr leicht und gewöhnlich. Es mögen einzelne dahin gelangt sein, das Ziel zu erreichen, und so mache ich Ihnen nicht streitig, daß Sie mit Recht sich richtig und genau zu kennen glauben. Ich möchte aber nicht dasselbe mit gleicher Zuversicht behaupten. Auf den ersten Blick scheint es allerdings leichter, sich selbst als andere zu kennen, da man sich unmittelbar fühlt, von anderen aber nur Äußerungen wahrnimmt, von denen man erst auf den inneren Grund schließen muß, so daß man bei diesem zwiefachen Verfahren auch einem zwiefachen Irrtume ausgesetzt ist. Aber der Beurteilende ist und bleibt doch von dem Beurteilten getrennt und kann unter allen Umständen seine kalte Unparteilichkeit und ruhige Besonnenheit behalten. Er wird nicht notwendig von
dem Gegenstande seiner Beurteilung bestochen oder hingerissen, oder auch gegen ihn eingenommen oder mißtrauisch gemacht. Bei der Selbstprüfung ist man allen diesen Gefahren ausgesetzt. Die beurteilende Kraft wird ewig von ihrem Gegenstande affiziert. Beide tragen einerlei Farbe und Stimmung an sich. Man ist bisweilen ebenso geneigt, sich Fehler anzudichten oder die wirklichen zu vergrößern, als das gerade Gegenteil zu tun. Man beurteilt sich auch ungleich in verschiedenen Momenten. Der oft eintretende Irrtum rührt auch garnicht immer von Mangel an Wahrheitsliebe oder aus Eigendünkel her, sondern entsteht auch bei den reinsten Absichten und dem redlichsten Willen; denn der Irrtum schleicht sich in die Ansicht und in das Gefühl selbst ein. Der Fall scheint mir also garnicht so einfach, daß, wie Sie sagen, die Verfälschung nur durch Eitelkeit zu befürchten wäre. Die Eitelkeit selbst aber ist von so vielfacher Art, daß vielleicht niemand ist, der es wagen möchte, sich ganz frei davon zu nennen. Man ist es von dieser oder jener, aber recht schwer von aller. Einzelne Handlungen und ihre Beweggründe lassen sich noch eher selbst beurteilen. Je mehr es aber auf eine Reihe von Handlungen und den ganzen Charakter ankommt, desto unsicherer wird das eigene Urteil. Darum sind Selbstbiographien nur dann wahrhaft lehrreich, wenn sie eine große Anzahl von Tatsachen enthalten. Die Selbstbetrachtungen können leicht irreführen.
    Ihrem am 24. Januar abgegangenen lieben Brief habe ich die Freude zu danken, einmal wieder etwas von Ihnen in recht heiterer Stimmung Geschriebenes gelesen zu haben. Sie wissen, daß mich das schon aus herzlichem Anteil an Ihnen besonders freut, daß ich es aber auch außerdem gern habe und die Stimmung schöner finde, die das Fröhliche recht heiter und das Widrige besonnen und gefaßt aufnimmt. Wenigstens ist es auf jeden Fall eine mehr beglückende. Mögen dann die dem Januar folgenden Monate alle harmlos und friedlich an Ihnen vorübergehen, und keine schmerzlichen Erscheinungen Ihre schöne Stimmung stören. Erhalten Sie Ihre Heiterkeit! Leben Sie wohl! Mit unveränderlicher Teilnahme Ihr H.
    Abgegangen den 2. Februar 1835.
     
     
Tegel
, Februar 1835.
     

    I ch endete meinen Brief mit Wohlgefallen an Ihrer heiteren Stimmung, und fange wieder damit an und komme darauf zurück. Da das Jahr so gut angefangen hat, wird es auch erwünscht enden. Es ist schon viel mit der guten Vorbedeutung gewonnen, und der Aberglaube selbst ist nützlich, wenn er im Vertrauen bestärkt. Denn Hauptereignisse und wahre Unglücksfälle abgerechnet, nehmen die Dinge meistenteils die Farbe der Seele an. Ein Gemüt, das sich meist in Heiterkeit erhält,
ist schon darum so schön, weil es immer auch ein genügsames und anspruchsloses ist. Ich rede natürlich nicht von der durch Leichtsinn entstehenden Sorglosigkeit. Den Leichtsinn schließt

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