Briefe an eine Freundin
könnte. Zu den optischen und naturhistorischen kann ich Ihnen nicht raten, Sie werden von dieser Lektüre weder augenblickliche Befriedigung, noch irgend ernsthaften Gewinn ziehen.
Sie werden vielleicht in den Zeitungen ein Buch angekündigt gefunden haben, das den Titel führt: Goethes Briefwechsel mit einem Kinde. Wenn Ihnen dies in die Hände fällt, so rate ich Ihnen, es nicht ungelesen zu lassen. Sie werden darin große Unterhaltung finden, und es wird Ihnen nicht entgehen, daß die Verfasserin sehr ausgezeichnet ist durch Geist und Talent. Sie ist Witwe des als Dichter berühmten Achim von Arnim und Enkelin der als Schriftstellerin
so bekannten Frau von Laroche; ihre Mutter war die Brentano, deren auch in Goethes Leben so oft erwähnt ist, und die mehrere Kinder hinterlassen hat. Frau von Arnim lebt in Berlin, da ihr Mann in der Nähe Güter besaß. In ihrer ersten Jugend ging sie in Frankfurt am Main viel mit Goethes Mutter um, die sie sehr lieb gewonnen zu haben scheint. Dadurch entstand die Bekanntschaft mit Goethe selbst, anfangs nur durch Briefe, nachher persönlich. Sie hat nun zwei Bände Briefwechsel, teils mit Goethe, teils mit seiner Mutter, und einen Band Tagebuch drucken lassen. Das Hauptthema ist ihre leidenschaftliche Liebe zu Goethe. Nebenher kommen aber andere Erzählungen eigener und fremder Lebensereignisse, Betrachtungen und Räsonnements darin vor. Von Goethe geben uns diese Bände nur etwa dreißig Briefe, von welchen dazu einige nur wenig Zeilen enthalten. Große Anerkennung von Bettinas auch wirklich seltenem Geiste und ihrer wunderbaren Originalität geht allerdings aus diesen Briefen hervor. Der Briefwechsel fällt in das Jahr 1807 und in die zunächst darauf folgenden, wo die Verfasserin zwar gar kein Kind, sondern ganz herangewachsen, aber allerdings sehr jung war. Im ganzen macht das Buch viel Aufsehen und findet viel Beifall, obgleich auch das wirklich Schöne und Geniale immer wieder mit Stellen vermischt ist, die gewiß allgemein mißfallen. Überhaupt ist zu bedauern, daß sich mit der wahren und schönen Originalität
so manche Züge wunderlicher Launen vermischen. Über Goethes Mutter enthält das Buch viele und überaus hübsche Details. Diese war, wie es scheint, nicht gerade sehr bedeutend von Geist und Charakter; aber ihre Lebendigkeit, ihre Lust an Menschen und selbst an Vergnügungen, besonders eine gewisse originelle Stimmung mögen doch auf den Sohn eingewirkt haben. Das Arnimsche Buch liefert recht lebensfrische Briefe von ihr. Eine durch Tiefe des Gefühls höchst interessante Erzählung in den Briefen der Frau von Arnim ist die Erzählung des Todes eines Fräuleins von Günderrode, von der Sie gewiß schon gehört haben. Sie brachte sich selbst ums Leben. Eine unglückliche Liebe führte sie zu diesem gewaltsamen Entschluß.
Den 28. März.
(Elf Tage vor dem Tode Wilhelm von Humboldts.)
Ich besitze seit dem 23. Ihren Brief vom 18., liebe Charlotte, habe ihn aber noch nicht ganz gelesen, da ich meinen Augen wenig zutrauen darf, und mir andere Beschäftigungen dazwischen kamen. Mit unveränderlicher, inniger Teilnahme der Ihrige. H.
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Zur Einführung.
»Gefühl fürs Wahre, Gute und Schöne adelt die Seele und beseligt das Herz; aber was ist es, selbst dieses Gefühl, ohne eine mitempfindende Seele, mit der man es teilen kann!
Noch nie wurde ich von der Wahrheit dieses Gedankens so lebhaft und so innig durchdrungen, als in dem jetzigen Augenblick, da ich mich, auf ungewisse Hoffnung des Wiedersehens, von Ihnen trennen muß!
Pyrmont, den 20. Juli 1788.
Wilhelm von Humboldt
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So lautete das Stammbuchblatt, das der einundzwanzigjährige Student der Rechte, Wilhelm von Humboldt, der um zwei Jahre jüngeren Pfarrerstochter Charlotte Hildebrand beim Abschiednehmen überreichte. Sie hatte ihren, nach dem plötzlichen Tode der Gattin, erholungsbedürftigen Vater in das herrlich gelegene Modebad begleitet und hier den jungen Aristokraten kennen gelernt, der von Göttingen aus, wo er an der berühmten Georgia Augusta studierte, einen kurzen Ausflug in das schöne Weserland unternommen hatte
und im selben Hause Wohnung fand, das den Pfarrer Hildebrand mit seiner schönen Tochter beherbergte. Zwei gleichgestimmte Seelen hatte das Schicksal hier zusammengeführt, und schnell war der für Frauenschönheit empfängliche Jüngling von seiner anmutigen Tischnachbarin bezaubert, deren große blaue Augen noch später an der
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