Briefe an eine Freundin
Greisin einem Gutzkow auffielen. »Schlank gewachsen, über das Maß der mittleren Größe hinaus, war Charlotte doch von vollen Formen. Ihr frisches Gesicht war von reichen blonden Locken umrahmt.«
»Drei glückliche Tage« verlebten die beiden jungen Menschen im regsten Gedankenaustausch in den herrlichen Alleen und der wundervollen Umgebung des idyllischen Pyrmont, und dann kam der Abschied, und man ging in der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen auseinander. Doch 26 Jahre sollten vergehen, bis das Schicksal beide Menschen wieder zusammenführte, freilich unter ganz anderen Bedingungen, als sie damals hätten ahnen können.
Den weltgewandten Freund ließ der Strudel des Lebens bald das Pyrmonter Erlebnis vergessen. Ihr aber waren jene Tage »die ersten, ungekannten Regungen erster erwachender Liebe, so geistiger Art, wie sie wohl bei der edleren Jugend immer sind, und das Stammbuchblatt blieb ihr das einzige Pfand und Siegel der reinsten und zugleich der einzigen, wahren Lebensfreude, die ihr das Schicksal
zugewogen«. Und während ihn das Leben fast mühelos auf die höchsten Höhen geleitete, wurde sie vom Schicksal schwer geprüft, und nichts Bitteres blieb ihr erspart.
In sorgloser Kindheit wuchs Charlotte Hildebrand (im Mai 1769 geboren) auf dem Pfarrhofe zu Lüdenhausen auf. In dem schönen Pfarrhause mit seinem großen Garten und den geräumigen Wirtschaftsgebäuden hatten schon der Vater und Großvater des Pfarrers Hildebrand das Amt des Geistlichen bekleidet, und die Familie gehörte zu den wohlhabenderen unter den Landgeistlichen. Während die Mutter Charlottes, mehr praktisch veranlagt, den großen Haushalt mit Umsicht leitete, war der Vater ein »vielgelehrter, tiefdenkender, in der Ideenwelt lebender, sogar in Traumvisionen zuweilen bis zum magnetischen Hellsehen sich vertiefender Mann«, der ganz und gar in seinen klassischen Studien aufging. Er leitete selbst den Unterricht seiner Kinder, und Charlotte mußte an dem Lateinunterricht, den der Vater den beiden Söhnen erteilte, teilnehmen, während sie mit ihren Schwestern die französische Sprache bei einer aus der Schweiz stammenden Erzieherin lernte, an der Charlotte Zeit ihres Lebens mit rührender Anhänglichkeit hing. Das heranwachsende junge Mädchen, schwärmerisch veranlagt, lebte ganz in der gefühlsseligen Stimmung, wie sie damals durch die Romane eines Richardson gepflegt wurde. Damals
schloß sie auch ihre ersten Freundschaften, die zum Teil fürs Leben halten sollten, wie mit dem lippischen Generalsuperintendenten Ewald. Eine Freundschaft mit der Tochter eines Arztes in der kleinen hessischen Universität Rinteln war auf ihr Leben von nachhaltigem Einfluß. In der romantischen Liebesgeschichte ihrer Freundin Henriette Lotheisen spielte sie die Vermittlerin, und diese Erlebnisse wurden auch für sie von folgenschwerer Bedeutung, indem sie unter dem Einfluß der Freundin die Ehe mit einem Manne einging, der ihr als Mensch gleichgültig war, durch den sie aber Eingang in die Gesellschaft fand. Schon vor der Pyrmonter Reise war sie die Braut des Dr. Diede geworden, eines wohlhabenden Juristen, der in der Residenz Kassel ein großes Haus machte. Die Eltern waren mit dieser Verbindung nicht einverstanden, aber doch hielt Charlotte – auch nach der Bekanntschaft mit Humboldt – an dem Verlöbnis fest und wurde bald nach dem Tode der Mutter Diedes Gattin. Das gesellschaftliche Leben in Kassel täuschte sie anfangs darüber hinweg, daß ihre Ehe nicht glücklich war, aber die Abneigung gegen Diede führte zu einem Bruch, als sie in ihrem Hause, in dem zahlreiche Offiziere verkehrten, die Bekanntschaft eines Kapitäns von Hanstein machte und diesem ihre Neigung zuwandte. Heftige Eifersuchtsszenen veranlaßten sie, ihren Mann zu verlassen und zu Hanstein zu flüchten, auf dessen Ehrlichkeit sie baute. Ihre
Ehe wurde geschieden und sie schuldig gesprochen. Dieses Ereignis bewirkte, daß sie bald vereinsamt dastand; und auch ihr Vater sagte sich von ihr los. Nun begannen für sie schwere Jahre der Prüfung, denn Hanstein, an dessen Liebe sie unerschütterlich glaubte, hielt sie von Jahr zu Jahr hin, und dennoch konnte sie sich nicht von diesem Manne losreißen. In verschiedenen Briefen an ihre Geschwister klagt sie ihre trostlose Verzweiflung, die noch durch äußere Not verstärkt wurde, indem ihr Erbteil, das ihr nach dem im Jahre 1800 erfolgten Tode ihres Vaters zufiel, sich als weit geringer herausstellte, als sie erwartet hatte. Um sich
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