Briefe an eine Freundin
schon wieder so sehr beunruhigt. Mein körperlicher Zustand ist, im ganzen genommen, in diesem Augenblicke sichtbar besser, und ich weiß von keiner besorglichen Kränklichkeit, so daß ich nicht glaube, daß ich je wieder Norderney noch irgendein anderes Bad besuchen werde. Sie sehen, wie falsch die Zeitungsnachrichten sind. Ich bin so glücklich, nichts von dem zu kennen, was man von mir schreibt. Sie erzeigen mir einen großen Gefallen, wenn Sie sich nicht wieder dadurch beunruhigen lassen. Ich bitte Sie recht herzlich darum! Mit inniger Teilnahme der Ihrige. H.
Tegel
, Dezember 1834 bis 2. Januar 1835.
I ch mußte neulich über Frau von Varnhagen abbrechen, ehe ich alles gesagt hatte. Der Mann der Verstorbenen gab zuerst einen Band von Briefen bloß als Geschenk für Bekannte und Freunde heraus. Diese Ausgabe besitzen nur diejenigen, die sie zum Geschenk erhalten haben. Später aber hat Varnhagen eine zweite vermehrte Ausgabe in drei Teilen veranstaltet, die allgemein verkauft wird. Ich zweifle nicht, daß Sie diese nicht sollten bald erhalten können. Ich glaube aber kaum, daß Sie die Geduld haben werden, die drei Teile zu durchlesen. Sehr vieles wird Ihnen gefallen, Sie anziehen, fesseln. Allein mit der ganzen Individualität dürften Sie, wie ich Sie kenne, schwerlich übereinstimmen. In einem Punkte gehen Sie beide schon ganz auseinander. Die Varnhagen vergöttert wahrhaft Goethe, und es ist nichts, was sie nicht groß und schön an ihm fände. Sie lieben und bewundern ihn zwar auch, ja sie hegen einige Vorurteile gegen ihn, die meiner Überzeugung nach auch ungerecht sind. Indes macht das einen Unterschied, daß sie Goethe persönlich kannte, wodurch sich leicht eine nicht immer unparteiische Vorliebe bildet. Ob Sie mit der Art der Religiosität, die sich in den Briefen ausspricht, zufrieden sein werden, ist sehr die Frage. Ich glaube es nicht.
Januar 1835.
D ie Varnhagen redet sehr viel von sich. Das kann man vielleicht am meisten und gerechtesten an ihr tadeln, obgleich diejenigen, die es lieben, daß sich fremde Individualität unverhohlen vor ihnen ausspricht, das Buch gerade darum gern haben. Sie erzählt aber mehr, setzt Gedanken auseinander, drückt Empfindungen aus, fällt aber seltener Urteile über andere, ihre Handlungen und Charaktereigenschaften. Wo sie es tut, kann ich aber weniger als in anderen ihrer Urteile mit ihr übereinstimmen. Sie war allerdings eine Jüdin und ging spät, wohl erst kurz vor ihrer Verheiratung, zum Christentum über. Ihr Mann, viel jünger als Sie, war, noch verheiratet mit ihr, Gesandter unseres Hofes in Karlsruhe und lebte nachher in Berlin, wo er noch jetzt ist. Er beschäftigt sich fast ausschließlich mit Literatur und wird mit Recht zu den bedeutendsten Schriftstellern der Zeit gerechnet. Er ist aber sehr kränklich, und so sehe ich ihn jetzt fast garnicht, so gern ich sonst viel mit ihm umgehen würde. Daß Sie Ähnlichkeit mit seiner verstorbenen Frau hätten, kann ich nicht nur im geringsten nicht finden, sondern ich bin überzeugt, daß das bloß unbegründete Einbildung ist. Zwei Personen können wohl allgemeine Eigenschaften, wie Treue, Wahrhaftigkeit, Freude am Nachdenken usw. miteinander gemein haben, jede dieser
Eigenschaften stellt sich aber in jeder von beiden anders und wird dadurch in der Tat zu etwas Verschiedenem. Dies war im doppeltem Grade bei der Varnhagen der Fall. Denn man mag sie nun noch so sehr bewundern, oder im Gegenteil sie noch so tadelnswert finden, so muß man ihr immer zugestehen, daß sie durchaus und in allem originell war. Sie glich wirklich nur sich selbst, und ich glaube nicht, daß man jemand nennen kann, der ihr ähnlich gewesen wäre. Es ist das nicht gerade ein Lobspruch, mit dem man sie belegt, es ist nur der Ausdruck der einfachen Wahrheit; Sie werden es gewiß ebenso empfinden, wenn Sie mehr in den Briefen lesen. Es werden darin eine große Menge von Personen erwähnt, teils mit ganz ausgeschriebenen Namen, teils mit den Anfangsbuchstaben. Das Interesse wird nun natürlich durch die Kenntnisse dieser Personen noch sehr erhöht, es hängt aber eigentlich niemals davon ab, da immer schon allgemeines, Räsonnement oder Empfindung, an die Persönlichkeit geknüpft ist. Ein Vorwurf aber, den man der Verfasserin mit Recht machen kann, ist, einigen Personen mehr Lobsprüche zu erteilen, als auf die sie selbst billigerweise hätten Anspruch machen dürfen. Man kann das aber nicht Schmeichelei nennen,
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