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Briefe an eine Freundin

Briefe an eine Freundin

Titel: Briefe an eine Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm von Humboldt
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Schönste, das Menschen zu erkennen imstande sind, bleiben doch die reinen, nur mit dem inneren Blick erkennbaren Ideen. In ihnen zu leben ist eigentlich der wahre Genuß, das Glück, was man ohne Beimischung irgendeiner Trübheit in sich aufnimmt. Nur haben wenig Menschen eigentlich Sinn dafür. Denn es gehört dazu eine Neigung der Beschauung, die in Menschen unmöglich ist, bei denen Sinnlichkeit und innere moralische Empfindung in Verlangen zur Wirklichkeit und zum Genuß übergehen. Ich bin von diesem Verlangen mein ganzes Leben hindurch sehr frei gewesen und habe daher mehr durch den Anblick vom Inneren und Äußeren genossen, und in beiden Rücksichten mehr die Wahrheit der Dinge erkannt, ohne mich Täuschungen hinzugeben.
    Sie haben mich, liebe Charlotte, schon vor längerer Zeit gebeten, Ihnen Nachricht von den Meinigen zugeben; Sie haben den Wunsch leise erneuert und sprechen ihn jetzt wieder auf eine so zart empfundene Art aus, daß ich mir fast einen Vorwurf darüber mache. Sie sagen: die nahen Angehörigen geliebter Männer seien für Frauen unendlich teure, geheiligte Gegenstände; die Kinder, Teile seines Wesens, die Lebensgefährtin, als die Mutter dieser, würden in dem Grade, wie sie den Geliebten beglücken, von der innigsten Zärtlichkeit umfaßt. Indem ich es zu würdigen weiß, aus wie edler Quelle
dergleichen Äußerungen kommen, danke ich Ihnen recht herzlich dafür. Ich habe es nur von Brief zu Brief verschoben, weil ich gewöhnlich das letzte Wort eines Blattes und die letzte Viertelstunde der Zeit erreichte, ehe ich dazu kam. Ich fange bei meiner Frau an, da ich mich nicht erinnere, ob Sie wissen, wer sie eigentlich ist. Wenn ich Ihnen also etwas sage, was Ihnen bekannt ist, so seien Sie mir darum nicht böse. Sie war ein Fräulein von Dacheröden, in ihrer Jugend sehr schön, und, ob sie gleich acht Kinder gehabt hat, noch viel mehr erhalten, als es Frauen, die nicht in dem Falle sind, gelungen ist. Sie ist seit einiger Zeit kränklich, aber auf keine Weise, die Besorgnis erregte, oder ihre natürliche Heiterkeit störte. Burgörner gehört ihr und ist eins ihrer Güter, dahingegen Tegel und die schlesischen mir gehören. Unsere Ehe wurde bloß durch gegenseitige Neigung, ohne alles Zutun von Eltern und Verwandten, geschlossen, sie hat in den einunddreißig Jahren, die sie nun währt, nie einen nur weniger zufriedenen Moment gehabt, unser Glück ist gegenseitig heute, wie im Anfang, und hat nur die Farbe der verlaufenden Zeit nach und nach angenommen. Da wir beide von Natur heiter sind, so ist unser Verhältnis selbst jugendlicher geblieben, als es sonst der Fall sein würde. Meine Geschäfte haben uns manchmal lange voneinander getrennt, aber seitdem ich freie Muße genieße, sind wir fast ununterbrochen zusammen, und dies fortsetzen zu können, wird
mich vorzüglich bewegen, wenn es nicht durchaus sein muß, nicht wieder in Dienst zu treten. Gleich nach meiner Verheiratung lebte ich auch außer Dienstverhältnissen über zehn Jahre lang, und reiste damals mit meiner Frau nach Frankreich und Spanien. Jetzt in der Stadt berühre ich fast die Straße mit keinem Fuß, und fahre auch selten aus. Auf dem Lande gehen wir immer zusammen spazieren, oder sind beide zu Hause. Von unsern acht Kindern haben wir leider drei, eins in Paris, zwei in Rom, verloren, als ich dort Gesandter war. Jetzt haben wir noch drei Töchter und zwei Söhne. Die älteste Tochter wird sich schwerlich verheiraten, sie bleibt gern mit uns, und wir würden sie, da sie so lange mit uns gewesen ist, noch ungerner missen. Meine beiden andern Töchter sind verheiratet; die zweite heiratete, ehe sie noch fünfzehn Jahre alt war, und ihr Mann in den Krieg ging. Sie hat den Obrist-Lieutenant von Hedemann zum Manne und lebt überaus glücklich. Die jüngste ist an den Geheimrat von Bülow verheiratet, der Legations-Sekretär bei mir in London war, und jetzt hier bei dem auswärtigen Departement steht. Sie hat eine Tochter, die bald ein Jahr alt sein wird, und lebt gleichfalls sehr heiter und in ihrer Häuslichkeit zufrieden. Mein jüngster Sohn ist noch im Hause und wird bei mir erzogen. Mein ältester ist Kavallerieoffizier in Breslau und hat eine schöne und liebenswürdige Frau. Sie hat leider noch keine Kinder. So wissen Sie
wenigstens im ganzen so viel, daß Sie sich meine Familie und mein Leben in derselben vorstellen können. Außer meiner Familie sehe ich wenig Leute. In Privathäuser gehe ich selten, nur zu einigen alten

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