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Briefe an eine Freundin

Briefe an eine Freundin

Titel: Briefe an eine Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm von Humboldt
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auf dieser Erde dem Scheidenden nicht mehr vorteilhaft war. Ebenso kann auch der Tod nicht auf alle gleiche Wirkungen haben den, welcher im Leben mehr und höher zu geistiger Stärke gereift war, nicht so als den
führen und stellen, der darin zurückgeblieben. Der Tod und das neue Leben ergreifen nur immer das für sie Gereifte. So muß also auch der Mensch diese Reife in sich befördern, und die Reife für den Tod und das neue Leben ist nur eine und eben dieselbe. Denn sie ist eine Trennung vom Irdischen, eine Gleichgültigkeit gegen irdischen Genuß und irdische Tätigkeit, ein Leben in Ideen, die von aller Welt entfernt sind, ein Sichlosreißen von dem Sehnen nach Glück, es ist mit einem Wort die Stimmung, daß man unbekümmert um die Art, wie man hier vom Schicksal behandelt wird, nur auf das Ziel sieht, dem man zustrebt, daß man also Stärke und Selbstverleugnung übt und wachsame Herrschaft über sich selbst. Daraus entsteht die heitere, furchtlose Ruhe, die, nichts Äußeres bedürfend, sich wie ein zweiter Himmel, ein geistiger, neben dem körperlichen in unbewölkter Bläue über den so in sich gestimmten Menschen ausbreitet.
     
     
Tegel
, den 26. Oktober 1827.
     

    E ntschuldigen Sie sich nie, liebe Charlotte, wenn Sie einmal einen Posttag später schreiben, als ich Ihnen meinen Wunsch nach einem Briefe ausgedrückt hatte. Sie sind immer so pünktlich und aufmerksam, daß ich gewiß bin, daß dann ein Hindernis eintrat, das Sie nicht beseitigen konnten. Auch bestimme ich ja nur die Tage, weil Sie es wünschen.
    Sie haben sehr recht, in Ihrem letzten Briefe zu sagen, daß der 18. Oktober, den man gleich nach dem Ereignis, welches damals so ungeheuer schien, ewig feiern wollte, jetzt schon beinahe vergessen ist. Wahrhaft als ein Erinnerungstag gefeiert wird er noch in Hamburg, aber ich glaube, auch nur da. Es liegt indessen in der Natur der Dinge, daß ein Ereignis das andere treibt, und daß es kaum möglich ist, eins auf sehr lange festzuhalten. Man empfindet die wohltätigen Folgen noch dankbar im Innern der Brust, man gedenkt der wundervollen Fügung des Schicksals, wodurch die menschlichen Pläne an einem so denkwürdigen Tage ein solches Gedeihen gewannen, aber der frohe, über alles hinweghebende, sich im allgemeinen Jubel ergießende Sinn erstirbt; was kurz nach der Gegenwart als eine ganz außerordentliche Begebenheit, ein wahres Wunder erschien, tritt nun in den gewöhnlichen Lauf der Begebenheiten zurück. Wenn das auch nicht recht sein mag, so ist es doch natürlich, und ist, so lange die Welt steht, so gewesen. Ich kann es selbst nicht so sehr tadeln. Alles, was man Staats- und Weltbegebenheiten nennt, hat in allen äußeren Dingen die größte Wichtigkeit, stiftet und vernichtet im Augenblick das Glück, oft das Dasein von Tausenden, aber wenn nun die Welle des Augenblicks vorübergerauscht ist, der Sturm sich gelegt hat, so verliert sich, ja so verschwindet oft spurlos ihr Einfluß. Viele andere ganz geräuschlos die Gedanken und
Empfindung stimmende Dinge sind da oft weit mehr von tiefem und dauerndem Einfluß. Der Mensch kann sich überhaupt sehr frei halten von allem, was nicht unmittelbar in sein Privatleben eingreift, und dies ist eine sehr weise Einrichtung der Vorsehung, weil so das individuelle Glück unendlich mehr gesichert ist. Gerade auch je mehr der Mensch sich in seine Individualität einschließt, desto mehr geht aus ihr hervor, was segensvoll auf das Gemüt und das innere Glück vieler wirkt. Diese Betrachtungen verrücken zwar sehr die gewöhnlich über das, was wichtig und unwichtig ist, herrschenden Ideen; das für das Wichtigste Gehaltene wird fast zur Gleichgültigkeit herabgesetzt und dem Unscheinbaren große Bedeutung beigemessen. Sie sind aber darum doch nicht minder wahr, und werden auch gewiß so von allen empfunden, welchen das äußere Weltleben nicht allen inneren Sinn abgestumpft hat. Auch die verschiedenen Epochen des Lebens verändern hierin die Ansicht sehr. Dem Jugend- und früheren Mannesalter sagt alles mehr zu, was auf einen größeren Schauplatz versetzt; im Alter fällt der falsche Glanz von den Dingen, aber sie erscheinen darum nicht ohne Bedeutung, hohl und leer. Man lernt nur das Reinmenschliche in ihnen suchen und schätzen und dies bewährt sich ohne Wandel, so lange man Kraft behält, sich mit ihm in Berührung zu setzen.
     
     
Im Dezember 1827.
     

    W ir stehen wieder am Schlusse eines Jahres. Der Monat, in dem das Jahr zu Ende geht, wir

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